Lohn des Todes
noch?« Ich setzte mich an den Tisch ihm gegenüber. Der Duft von Kräutern und gebratenem Fisch hing im Raum.
»Ja, es lässt mich nicht los.« Er rieb sich über das Gesicht, fuhr sich durch die Haare, die anschließend verstrubbelt hoch
standen. »Kannst du nicht schlafen? Fehlt dir irgendetwas?«
»Ich bin wunderbar eingeschlafen, aber dann rief mein Vater an.« Ich verzog das Gesicht zu einer Grimasse. »Und jetzt geht
es mir so wie dir, der Gedanke an den Fall lässt mich nicht los. Ich würde gerne noch mal die Bilder mit den Verletzungen
sehen.«
»Wäre es nicht besser, wir beide würden zu Bett gehen?«
»Gemeinsam?« Ich lachte.
Eine leichte Röte zeigte sich unter seinen Augen. »Nein, ich meinte natürlich – jeder in sein Bett.«
Ich zog die Augenbrauen hoch, lächelte. »Ich habe die Bilder |135| der Toten sowieso im Kopf. Es gibt nichts, was sie auslöschen könnte«, sagte ich dann wieder ernster werdend.
»Nun gut.« Er suchte in den Unterlagen, fand die Mappe mit den Fotos. »Vielleicht hilft dabei aber ein Drink. Mir wäre jedenfalls
danach.« Er sah mich fragend an.
»Vielleicht gar keine schlechte Idee.«
»Magst du Whisky? Meine Tante hat eine hervorragende Sammlung schöner Single-Malts.«
»Wenn etwas dabei ist, das nicht nach Aschenbecher schmeckt, dann schon.«
Er ging zur Anrichte, öffnete eine Tür. Dahinter verbarg sich ein erlesenes Sortiment an Alkoholika.
»Nicht zu rauchig? Der achtjährige Caol Ila hat dreiundsechzig Umdrehungen, das dürfte selbst für diesen Anlass zu heftig
sein, er schmeckt aber nicht rauchig. Hier ist noch ein zwölfjähriger Glen Broch, der ist mild.« Er füllte das Glas drei Finger
breit mit einer bernsteinfarbenen Flüssigkeit, reichte es mir. Ich schnupperte, nippte dann vorsichtig.
Der Whisky war mild und lecker, er half aber nicht über den Anblick der Opfer hinweg. Ich legte die Bilder nebeneinander,
verglich sie, nahm die Obduktionsbefunde zur Hand. Tatsächlich hatte die junge Frau weniger Quetschungen und Striemen als
der alte Mann. Sie war ins Gesicht geschlagen worden, ihre Nase war gebrochen und der Kiefer ausgerenkt. Aber am Gesäß und
auf dem Rücken waren nur wenige Schläge zu erkennen. Auch sie war vergewaltigt worden, sowohl vaginal als auch anal und oral.
Mich schüttelte es bei dem Gedanken. Ich trank das Glas leer, reichte es wortlos Robert. Er füllte es wieder, legte mir die
Hand auf den Oberarm.
»Suchst du etwas Bestimmtes?«
»Ich bin mir ganz sicher, dass er die Verletzungen nicht zufällig zugefügt hat. Er hat den Mann nicht aus reiner Wut geschlagen,
um seine Trieb abzureagieren, sondern um Zeichen zu setzen.«
Robert zog die Stirn noch mehr in Falten. »Ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich verstehe, was du meinst. Er hat seine |136| Opfer geschlagen, aber nicht weil er wütend war? Wie kann man ohne Wut so brutal vorgehen?«
»Doch, natürlich war er wütend. Aber ich glaube nicht, dass es zufällige Schläge und Verletzungen sind. Dass er vor dem Mann
stand und einfach drauflos geschlagen hat, egal wohin. Er hat das ganz gezielt und mit Berechnung gemacht.«
»Du meinst, er will damit etwas ausdrücken?«
»Ja. Was hat er getan, was er nicht hätte tun müssen? Um die Opfer zu töten, hätte ein Stich mit dem Messer gereicht, oder
ein Schnitt durch die Kehle. Ich bin mir ziemlich sicher, dass er das sowieso vorhatte. Nur wollte er nicht wieder mit dem
Blut besudelt werden, so wie bei Frau Hoffmann in Flensburg.«
»Also ließ er sie vorher – langsam aber sicher – ausbluten.«
»Das alleine hätte über kurz oder lang schon zum Tode geführt, die Organe fingen an zu versagen. Außerdem waren die Opfer
dehydriert. Einige Tage ohne Wasser und Nahrung – für den alten Mann hätte auch das tödlich sein können, das Mädchen hätte
vermutlich noch länger ausgehalten. Man sagt, zweiundsiebzig Stunden ohne Wasser töten. Es gibt Fälle, wo es Menschen länger
ausgehalten haben. Aber nicht viel länger.«
»Doch er hat sie auch geschlagen.« Nachdenklich schaute Robert die Bilder an. »Den Mann mehr als die Frau. Dafür hat sie mehr
Schnittwunden. Warum? Weil sie vitaler war?«
»Das könnte ein Grund sein. Andererseits war sie gefesselt, wehren konnte sie sich sowieso nicht. Mit den Schlägen ins Gesicht
hat er sie vielleicht für die orale Vergewaltigung gefügig gemacht. Dafür spricht auch das ausgerenkte Kiefergelenk.« Ich
verzog das Gesicht, meine Hand
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