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Lohn des Todes

Titel: Lohn des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Renk
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solche Spielchen, spielte sie nicht gerne, |222| aber diesmal rief ich ihn nicht an. Ich rief stattdessen den Hund.
    Das Gewitter war abgezogen, der Regen hatte nachgelassen. Die Luft war frisch und rein, aber deutlich kühler. Wir gingen eine
     Runde durch das Dorf. Fast alle Lichter waren gelöscht, die Häuser lagen dunkel da, die Bewohner schliefen vermutlich. Welche
     Dramen sich dennoch hinter den Fenstern verbergen, ahnte ich noch nicht einmal. Wer hatte eine Geliebte, und wusste das Dorf
     davon? Wessen Partner war krank? Wo wurde getrunken und wo geschlagen? Manches blieb verborgen, aber vieles wurde auch einfach
     verschwiegen.
    Hechelscheid war ein kleines Dorf, in dem ich fast nur nette Menschen getroffen hatte. Ich wurde gegrüßt und fühlte mich willkommen.
     Ich war gerne hier.
    Es war schon nach Mitternacht, als ich ins Bett ging. Die Wolken lösten sich auf. Ich lag im Bett und sah zum Fenster. Der
     Mond schien immer mal wieder zwischen den Wolken hindurch in das Schlafzimmer, goss für kurze Zeit sein Licht auf die Dielen.
     Es hatte etwas Tröstliches. Darüber schlief ich ein.
    Es war noch vor dem Morgengrauen, als ich wach wurde. Montag, wurde mir bewusst. Da war aber noch etwas anderes, etwas, das
     in meinem Unterbewusstsein kauerte und sich verbarg. Es war wichtig, aber ich konnte es nicht fassen. Etwas, das mit dem Fall
     zu tun hatte.
    Leise fluchend stand ich auf und zog mich an. Eine Runde mit dem Hund würde mich entweder auf andere oder auf den richtigen
     Gedanken bringen. Meine Laufschuhe waren immer noch feucht. Ich überlegte nur kurz, zog dann einfache Turnschuhe an. Für eine
     kleine Runde würde auch das gehen.
    Das erste Licht des Tages deutete sich an, ängstlich und ohne Selbstvertrauen. Nebelfrauen tanzten Reigen über dem See, waberten
     über die Felder. Dick lag der Tau auf den Blättern und dem Gras, bog die Halme nach unten. Durch die Erschütterung meiner
     Schritte auf dem weichen Pfad erzitterten die Grashalme, es sah aus, als ob sie sich vor mir verbeugten.
    |223| Als ich in das Haus zurückkehrte, erschien es mir zu groß und zu leer. Ich fütterte den Hund und packte meine Sachen. Eine
     halbe Stunde später fuhr ich nach Aachen.
    Auch die Wohnung in der Oppenhoffallee lockte mich nicht. Ich entlud den Wagen nur und fuhr in Richtung Seilgraben. Montagmorgen
     kurz nach sieben, noch war Aachen nicht wirklich erwacht. Der einzige Ort, an dem man zu dieser Zeit gut frühstücken konnte,
     war das »Kaffeekännchen« an der Neupforte.
    Ich parkte den Wagen am Seilgraben und ging zum Café. Die junge Bedienung wirkte so müde, wie ich mich fühlte. Trotzdem servierte
     sie mir freundlich und schnell das Frühstück, stellte Charlie eine Schüssel mit Wasser hin. Sie sah mich fragend an, aber
     ich war an einem netten Gespräch eben so wenig interessiert wie sie.
    Nachdem ich meinen Kaffee getrunken und das Rührei gegessen hatte, schmierte ich mir ein Brötchen und schob es auf dem Teller
     hin und her, als suchte ich eine geeignete Parkbucht. Schließlich holte ich Sonjas Akte aus meiner Tasche, legte sie auf den
     Tisch, schlug sie aber noch nicht auf. Irgendwo zwischen den ganzen Berichten musste der Schlüssel sein. Wenigstens ein kleiner,
     verschlüsselter Hinweis musste dort zu finden sein. Dann schlug ich die Akte auf, wahllos. Las ein paar Zeilen, blätterte
     um, überflog die Seite, blätterte wieder um. Frustriert schlug ich die Akte zu, bestellte einen weiteren Kaffee, öffnete die
     Akte erneut, blätterte. Ich stieß auf eine Notiz: Az: 51-35/13-4853, 0228-775736/Kessing.
    Mir erschloss sich die Notiz nicht wirklich, denn es stand nichts weiter da. Nachdenklich steckte ich die Akte wieder ein
     und bezahlte. Das Brötchen hatte ich nicht angerührt.
    »Wollen Sie das Brötchen nicht wenigstens mitnehmen? Ich muss es sonst wegwerfen«, sagte die Bedienung. Sie war bestimmt eine
     Studentin, die den Job dringend brauchte, um ihr Studium zu finanzieren, denn wer sonst stellt sich freiwillig am Montagmorgen
     um sieben in ein Café? Ihr war es wahrscheinlich ein Graus, Lebensmittel zu verschwenden.
    |224| »Ich habe nicht hineingebissen, es kaum angerührt. Wollen Sie es essen?«, fragte ich sie.
    »Das darf ich nicht.«
    Ich schaute mich um, wir waren alleine, der einzige andere Gast war gerade auf die Toilette verschwunden.
    »Ich verrate es nicht«, sagte ich und zwinkerte ihr zu. Sie lächelte, nahm eine Brötchenhälfte und biss beherzt hinein.
    Ich

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