Lohse, Eckart
als
dieser darauf hingewiesen habe, dass der Untersuchungsbericht der Nato für die
nächsten Tage erwartet werde.
Tatsächlich landet der ebenso
umfassende wie kritische Bericht am Abend von Guttenbergs Amtseinführung im
Posteingang des Verteidigungsministeriums. Guttenberg steht zu dieser Zeit auf
einer Bühne in einem großen Saal des Ministeriums, in dem Ehrungen,
Begrüßungen oder Abschiede stattfinden. Er hält eine freundliche Rede auf
Jung, was bemerkenswert ist angesichts der Kälte, mit der er seinen Vorgänger
vier Wochen später in den politischen Abgrund fallen lässt. Es seien
»bedeutende, ja große Namen«, die dieses Amt geprägt hätten, sagt der neue
Verteidigungsminister, und lässt damit seine Zuhörer aufhorchen, die sich
fragen, wie er mit diesem Anlauf wohl bei Jung landen will. Erst nennt er Franz
Josef Strauß, dann Helmut Schmidt - der eine wurde später Kanzlerkandidat, der
andere Bundeskanzler. Dann sagt er: »Ab 2005 war der
Hausherr Franz Josef Jung.« Guttenberg führt als Verdienst Jungs das öffentlich
vor dem Reichstag durchgeführte Gelöbnis junger Bundeswehrsoldaten, die
Einführung einer Tapferkeitsmedaille und die Errichtung eines Ehrenmals für die
Gefallenen der Auslandseinsätze und die Toten der Wehrverwaltung auf. Jung und
ihn verbinde, so fährt Guttenberg fort, dass sie beide den Wehrdienst abgeleistet
hätten, was ihnen nicht geschadet habe. Man wisse immer, woran man bei Jung
sei: »Auf sein Wort ist Verlass, auch auf seine Freundschaft ist Verlass.«
Guttenberg gibt an diesem Abend
einen weiten Überblick über die sicherheitspolitische Großwetterlage, dringt
aber ebenso in die deutsche Geschichte vor und vergisst auch den in späteren
Reden immer wieder auftauchenden Hinweis auf den Widerstandskämpfer
Stauffenberg nicht. Spätestens in dem Moment, da Jung das Wort ergreift, sich
freut über die von ihm erzielten Erfolge beim Weiterbeschäftigungsgesetz für
Soldaten oder bei der Einrichtung einer Schwerpunktstaatsanwaltschaft für
Fälle aus dem Auslandseinsatz der Bundeswehr, wird klar, dass er und Guttenberg
zwei sich ganz erheblich unterscheidende Kaliber sind.
Am nächsten Vormittag, dem ersten
Arbeitstag des neuen Ministers, unterrichten ihn Generalinspekteur Schneiderhan
und Staatssekretär Wiehert in seinem Büro über die laufenden Einsätze der
Bundeswehr. Monate später wird Guttenberg sich vor dem Untersuchungsausschuss
des Bundestages an jenes eineinhalbstündige Gespräch mit den Worten erinnern:
»Obwohl der Schwerpunkt die Lage in Afghanistan war, wurde der
Luft-Boden-Einsatz bei Kundus in diesem Rahmen nicht behandelt.«
Doch findet gleich darauf ein
weiteres, kurzes Gespräch im kleinen Kreis im Ministerbüro statt. Wiehert hat
die englische Version des Comisaf-Berichts bei sich. Nach Guttenbergs
Darstellung trägt Wiehert »äußerst knapp, circa fünf Minuten lang« die
Ergebnisse der über Nacht erstellten Auswertung vor. Dabei habe er deutlich
gemacht, der Bericht falle für die Bundeswehr »sehr positiv« aus. Es gebe
lediglich einige kritische Punkte, doch seien die kein Grund zur Sorge.
Tatsächlich sagt der Minister später, es habe ihn überrascht, dass Wiehert
den Bericht schon nach fünf Minuten wieder »weggepackt« habe. Auch Wiehert
sagt nicht, dass man sich länger mit der Angelegenheit auseinandergesetzt habe.
Allerdings kommt er zu der Feststellung: »Der neue Minister machte nach seinem
Amtsantritt die Geschehnisse am 4.9. in Kundus
nicht zu einem besonderen Thema.«
Schon früh stellt sich die Frage,
wer hier in der Pflicht war: die erfahrenen Beamten, die den neuen Minister
gleich hätten darauf hinweisen müssen, welche Bedeutung die Bombardierung bei
Kundus hatte? Oder der außen- und sicherheitspolitisch nicht unerfahrene
Minister, der von seinen Mitarbeitern umfassende Informationen zu einem Thema
hätte einfordern müssen, dessen Bedeutung jeder Zeitungsleser seit Wochen
kannte?
Etwas genauer will Guttenberg es
doch wissen. Er weist den Staatssekretär an, ihm selbst eine schriftliche
Auswertung des Berichts zukommen und diesen ins Deutsche übersetzen zu lassen
und auch dem Bundestag zur Verfügung zu stellen. Guttenberg ist lange genug
Bundestagsabgeordneter, um zu wissen, wie empfindlich die Parlamentarier
reagieren, wenn sie den Verdacht haben, die Regierung enthalte ihnen brisante
Dokumente vor. Schließlich fragt er in die kleine Runde, »ob es darüber hinaus
noch weitere relevante Informationen gebe oder
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