Lohse, Eckart
er, dass
sich einige jener Taliban-Anführer in der Nähe der Wagen befinden, die ihm und
seinen Leuten das Leben besonders schwermachen.
Klein ist entschlossen die
Gelegenheit zu nutzen, die Tanklaster und die Taliban auf einen Schlag aus der
Welt zu schaffen. Erst überfliegt ein amerikanischer B-1-Langstreckenbomber
den Ort des Geschehens und funkt Informationen ins deutsche Lager. Als dieser
betankt werden muss, lösen ihn zwei ebenfalls amerikanische F -15 -Kampfflugzeuge
ab. Klein will, dass sie Bomben auf die Lastwagen werfen. Er weiß, dass das
viele Menschenleben kosten wird. Nach seinen Informationen handelt es sich bei
den inzwischen um die Laster versammelten Afghanen ausschließlich um Taliban.
Es beginnt ein Gespräch zwischen Boden und Luft, das in der Fachsprache als
»collateral damage estimate« bezeichnet wird, also eine Abschätzung des
Kollateralschadens, der entstehen könnte.
Zwei afghanische Sicherheitskräfte
bewachen am 4. September 2009 einen der beiden ausgebrannten Tanklastzüge bei
Kundus
Von dem politischen
Kollateralschaden, der später Bundeskanzlerin Angela Merkel, ihren damaligen
Verteidigungsminister Franz Josef Jung und schließlich dessen Nachfolger Karl-Theodor
zu Guttenberg erreichen wird, ahnt noch niemand etwas. Die Amerikaner
empfehlen, die Menschen durch Überfliegen der Szene zu verjagen, bevor sie ihre
Bomben werfen. Klein lehnt das ab. Entgegen den Vorschriften informiert er
auch seinen nächsten Vorgesetzten nicht. In dem Bericht an das
Einsatzführungskommando in Potsdam heißt es zum entscheidenden Moment an jenem 4. September 2009 nüchtern:
»01 .49 Uhr. F-15E löst eine Bombe aus.«
Eine zweite folgt. Menschen sterben. Wie viele, das ist bis heute ungeklärt,
zum einen, weil ihre Körper durch die gigantische Hitze, die durch die
Explosion der Tanklaster entsteht, völlig verkohlt oder eingeäschert sind. Zum
anderen, weil die Af ghanen wie immer in solchen Fällen
sofort zum Tatort eilen und die Leichname oder deren Reste mitnehmen.
Die ausführlichste Untersuchung
des Vorfalls wird von der Nato angestellt, das Ergebnis als Comisaf-Bericht
bezeichnet. Die Größenordnung, die darin für die Zahl der Opfer genannt wird,
reicht von unter 20 bis zu mehr als 140. Der
Bericht wird große Bedeutung für Guttenberg bekommen. Noch wichtiger wird
allerdings jener am 9. September
ohne jede Aufforderung aus Berlin von einem Oberstleutnant der Feldjäger namens
Brenner geschriebene »Feldjägerbericht«. In ihm wird das Verhalten Kleins sehr
kritisch kommentiert.
Zunächst jedoch gehen die Vorfälle
Guttenberg nicht mehr an als jedes andere Mitglied der Bundesregierung. Er ist
Anfang September Wirtschaftsminister, vor allem aber Wahlkämpfer. Und im
Bundestagswahlkampf ist die Angelegenheit nur ein Thema am Rande. Der
sozialdemokratische Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier ist eben nicht der
skrupellose Kämpfer Schröder. Er ist viel zu wenig politisches Alphatier, um
den zu rot-grünen Zeiten unter seiner engen Mitwirkung beschlossenen
Afghanistaneinsatz der Bundeswehr plötzlich um des Wahlsiegs willen für
Teufelswerk zu erklären.
Guttenberg
reißt die Kundus-Affäre an sich
Und doch wird die Nacht von Kundus
für Guttenberg noch größte Bedeutung erlangen und sogar zu einer politischen
Detonation im eben von ihm übernommenen Verteidigungsministerium führen. Die
Katastrophe bahnt sich früh an. Einen Tag nach Guttenbergs Amtsantritt am 28. Oktober 2009 kommentiert
der höchste Soldat der Bundeswehr, Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan,
öffentlich den kurz zuvor im Ministerium eingetroffenen Comisaf-Bericht. Er
verkündet, auch die Nato sei der Auffassung, Klein habe mit seinem Befehl
angemessen gehandelt. Das deckt sich mit der bisherigen Haltung der
Bundesregierung. Damit hätte die Aufarbeitung des brisantesten Kapitels der
deutschen Militärgeschichte seit dem Zweiten Weltkrieg beendet sein können.
Weder Jung noch Schneiderhan oder
Staatssekretär Peter Wiehert drängen den Minister, das Thema Kundus neu zu beleben.
Guttenberg selbst wird später sagen, bis zu seinem kurzen Übergabegespräch mit
Jung am 26. Oktober, zwei Tage vor seinem
Amtsantritt, sei ihm der Luftschlag bei Kundus und die darauffolgenden
Ermittlungen der Nato »praktisch nur aus den Medien und der Debatte zur
Regierungserklärung der Bundeskanzlerin« bekannt gewesen. Die Angelegenheit
habe in dem »kurzen« Gespräch mit Jung nur insofern eine Rolle gespielt,
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