Lohse, Eckart
galt sie als
abhörsicherer Raum. Zudem führt aus ihr eine Tür in den Garten, eine zweite direkt
auf die Empore der Kirche. »Mein Großvater konnte durch die Bibliothek
abhauen, wenn die SS ihn verhaften wollte.« Einige »herrschaftstreue Nazis«
helfen, die Verhaftungen zu verhindern. So erzählt man sich in der Familie die
Geschichte vom Ortsgruppenführer, der im Schloss anrief und sagte: »Herr Baron,
ich komme in zwei Stunden mit der SS, um Sie zu verhaften.«
Karl Theodor zu Guttenberg, der Ältere,
hatte die Gegnerschaft des Vaters zu den Nationalsozialisten schon als Kind
erlebt. Wenige Jahre später macht er seine eigenen Erfahrungen. Nach dem
Schulbesuch auf der vom katholischen Adel geschätzten Internatsschule der
Jesuiten »Stella Matutina« in Feldkirch in Voralberg und, nach deren
erzwungenem Umzug, in St. Blasien im Schwarzwald sowie dem Abitur auf dem
Alten Gymnasium in Würzburg geht er im Anschluss an den Reichsarbeitsdienst 1938 als
Offiziersanwärter zur Wehrmacht. Er tritt ins 17. Reiter-Regiment
in Bamberg ein, zusammen mit seinem einzigen Bruder Philipp Franz. Übrigens in
dasselbe Regiment, in das 1926 Claus
Schenk Graf von Stauffenberg eingetreten war. Als Hitler den Zweiten Weltkrieg
beginnt, ist Karl Theodor von Anfang an dabei: zunächst in Polen, dann in
Frankreich, später in Russland.
Als er mit 18 Jahren, so
erinnert er sich, in einem kleinen verschlafenen Ort an der französischen
Grenze auf den Einmarschbefehl wartet, berichtet ein ihm wenig sympathischer
Leutnant im Café stolz davon, wie er in Polen bei einer Razzia einen
»dreckigen Juden eigenhändig erstochen« habe.
Guttenberg kann nicht an sich
halten und fährt ihn an: »Ich hätte an Ihrer Stelle lieber auf die SS als auf
die Juden geschossen.« Der Leutnant zeigt den aufmüpfigen Fähnrich an, berichtet
noch einiges andere Negative über ihn, etwa, welche kritischen Bemerkungen über
Hitler er habe fallenlassen. Nur weil der vorgesetzte Major zufällig »Onkel
Rudi« ist, Rudolf von Lerchenfeld, der Sohn eines Nachbarn und Freundes der
Familie in Oberfranken, und weil Vater Enoch selbst zu Hilfe eilt, geht die Sache
glimpflich aus. Wegen seiner Jugend sei der Fähnrich Guttenberg noch nicht
politisch ernst zu nehmen, urteilt der Kriegsgerichtsrat, der den Beschuldigten
zwar abkanzelt, aber es mit einer Disziplinarstrafe von drei Wochen Arrest
bewenden lässt.
So jedenfalls ist die Geschichte,
wie sie Karl Theodor der Ältere selbst in seinen Lebenserinnerungen schildert.
Die heute in der Familie gängige Version lautet allerdings völlig anders: Karl
Theodor zu Guttenberg »sollte schon mit 19 Jahren vor ein Kriegsgericht der
Hitler-Schergen, weil er sich geweigert hatte, in Polen Juden zu erschießen«.
So hat es Enoch zu Guttenberg viele Male über seinen Vater erzählt. Für eine
solche Tat, eine glatte Befehlsverweigerung, wäre dieser möglicherweise selbst
an die Wand gestellt worden. Keinesfalls wäre eine solche offene Missachtung
eines Befehls aber mit einer dreiwöchigen Karzerstrafe geahndet worden. Darüber
hinaus gibt es keinen einsehbaren Grund, warum Karl Theodor zu Guttenberg,
statt von einer dramatischen Begebenheit in Polen zu berichten, eine weit
weniger dramatische Geschichte in Frankreich hätte erfinden sollen. Wollte
Enoch zu Guttenberg seinen Vater im Nachhinein heroisieren, ihn größer machen,
als er es gewesen ist? Oder hat er seine Version der Begebenheit so oft gehört
oder erzählt, dass er sie selbst glaubt? Die Darstellung dürfte jedenfalls dem
Reich der Legende zuzuordnen sein. Wie sich solche Heroisierungen verselbständigen
und weiterentwickeln, zeigt ein Bericht der »Zeit«. Der junge Soldat Guttenberg
habe für seine Unbotmäßigkeit »vorübergehend im KZ gesessen«.
Wahr ist wohl, dass Karl Theodor
der Ältere über diese Episode hinaus mit dem Widerstand zu tun hatte. Über
seinen Taufpaten und Onkel Karl Ludwig Freiherr von und zu Guttenberg kommt er,
so berichtet er wiederum selbst in seinen Erinnerungen, bei einem Heimaturlaub
von der Ostfront im Herbst 1942 mit dem
Umkreis des militärischen Widerstands gegen Hitler in Kontakt. Er lernt
führende Männer des Widerstands im Amt Abwehr kennen, das von Wilhelm Canaris
geleitet wird. Der Onkel habe ihn gefragt, ob er bereit sei, bei einem Umsturz
mitzumachen. Guttenberg sagt zu, er beantragt deshalb sogar seine Versetzung
nach Berlin. Doch das Personalamt lehnt sie ab. Wenn es denn so war, dann hat
diese Entscheidung ihm
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