Lohse, Eckart
vor einer ausufernden Staatsverschuldung.
Opel-Nächte im
Kanzleramt
Doch das ist nur
ordnungspolitische Prosa, wie sie von einem Wirtschaftsminister der Union
erwartet wird. Ein Thema ist es vor allen anderen, an dem Guttenberg sich
beweisen muss: Opel. Es geht darum, mit welchem Konzept eine Pleite des Autobauers,
der zum amerikanischen Konzern General Motors gehört, verhindert werden kann -
und damit der Verlust von 26000 Arbeitsplätzen
in Deutschland. Die Sozialdemokraten und ihr Kanzlerkandidat Frank-Walter
Steinmeier setzen darauf, mit diesem Thema im Wahlkampf einen Vorteil erringen
zu können. Sie plädieren für staatliche Hilfe und, wenn es sein muss, für einen
Einstieg des Staates bei Opel, weil die Jobs auf jeden Fall gerettet werden
müssten. Wer Kanzler werden will, kann im Autoland Deutschland Opel nicht im
Stich lassen. Wer Kanzlerin bleiben will, das weiß Angela Merkel, auch nicht.
Guttenberg tut zunächst erst
einmal alles, um das Thema an sich zu reißen. Mitte März fliegt er in die
Vereinigten Staaten. Er trifft sich in New York mit führenden Vertretern der Finanzbranche,
mit denen er angeblich über Opel redet, und in Washington mit dem Chef von
General Motors, Rick Wagoner, und dem Europa-Vorstand Fritz Henderson. Vor
allem aber zeigt Guttenberg, wie sicher er sich auf internationalem Parkett
bewegt. Es ist die Reise, auf der das berühmte Foto auf dem Times Square
entsteht, Guttenberg mit ausladender Geste und strahlendem Lächeln. Ein
Minister, der in der Krise scheinbar auf dem Broadway tanzt. Das ist eine
Geschichte, die die Redaktionen haben wollen - egal, was die Reise zur
Opel-Rettung genau gebracht hat.
Doch das Thema Opel spitzt sich
weiter zu. Im April und Mai liegen die Angebote verschiedener Investoren vor,
nun soll bald entschieden werden, wie der Konzern gerettet werden kann.
Favorit der deutschen Politiker ist das kanadischösterreichische Unternehmen
Magna, das gemeinsam mit der russischen Sberbank Opel kaufen will. Daneben gibt
es noch den italienischen Autokonzern Fiat und den amerikanischen Investor
Ripplewood. Die Bundesregierung soll 1,5 Milliarden Euro Überbrückungskredit
geben. Guttenberg gibt keine konkreten Empfehlungen ab, er hält auch immer die
Möglichkeit einer Insolvenz offen. Vor allem wendet er sich gegen den Ruf nach
einer Staatsbeteiligung. Damit begehe man einen strategischen Fehler zu Lasten
von Opel. Es sei ihm unbegreiflich, dass sich selbst Kabinettskollegen für
eine staatliche Beteiligung aussprächen, sagt er in Richtung der SPD. Die droht
intern, es werde richtig Ärger in der Koalition geben, sollte der
Wirtschaftsminister die staatlichen Hilfen für Opel blockieren.
Es kommt zu einer ersten
Opel-Nacht im Kanzleramt am 27. Mai, einem
Mittwoch. Zunächst einmal sind die deutschen Teilnehmer entsetzt über die
Amerikaner. Kein hochrangiger Vertreter aus den Vereinigten Staaten ist
angereist, weder von General Motors noch vom amerikanischen Finanzministerium.
Die anwesenden Amerikaner gehören in die dritte Reihe, und sie haben keine
Entscheidungsvollmacht. Zudem machen die Vertreter von General Motors kurz vor
dem Treffen plötzlich klar, dass Opel sofort Geld brauche, und zwar mindestens
300 Millionen Euro, andernfalls könnte das Unternehmen seine Verbindlichkeiten
nicht erfüllen. Davon war vorher nicht die Rede gewesen. In dieser
Mammutsitzung kommt man nicht zusammen. Guttenberg spricht, nachdem man sich
gegen halb fünf Uhr in der Frühe getrennt hat, von einer »teilweise absurden«
Nacht.
Die allgemeine Empörung über das
Verhalten der Amerikaner verdeckt die Unterschiede, die es im Lager der Union
wie auch der Koalition insgesamt gibt und die mit dem Wirtschaftsminister zu
tun haben. So gerät der hessische Ministerpräsident Roland Koch von der CDU in
dieser Nacht schon heftig mit Guttenberg aneinander. Koch ist für Magna, weil
es für seinen Standort in Hessen wohl die beste Lösung bietet; Guttenberg will
hingegen alles offenlassen, das sei die beste Taktik. Insgeheim soll er aber
Sympathien für Fiat hegen. Die SPD hingegen moniert, Guttenberg habe sich
lausig vorbereitet. Den Eindruck teilen manche aus der Union.
Als Guttenberg die amerikanischen
Teilnehmer mit allerlei Fragen konfrontiert, bemerkt die Kanzlerin, eigentlich
müsse der Wirtschaftsminister diese Fragen selbst beantworten können.
Guttenberg, so ist der allgemeine Eindruck, habe die Folgen,
die eine Insolvenz von Opel haben könnte, intellektuell
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