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Lokale Erschuetterung

Lokale Erschuetterung

Titel: Lokale Erschuetterung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Gerlof
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Mund zu halten und zuzuhören. Das sollte genügen für den ersten Abend, und ob es einen zweiten für ihn geben wird, kann er später entscheiden.
    Er langweilt sich weniger als befürchtet. Bosse ist ein begnadeter Redner, hält einen Vortrag über Zitelmann, Schacht und Graf und wie sie alle hießen. Mit Bravour. Erklärt deutlich, warum die vorhandenen rechten Parteien keine Chance haben, politischen Einfluss zu gewinnen. Malt das Bild einer neuen Rechten in den schönsten Farben, feiert die Geburt des Ethnopluralismus als kluge Antwort auf alle gescheiterten Versuche der Integration, preist die Vielfalt der Völker in nationalen Grenzen und setzt die Pausen immer dann, wenn sie gebraucht werden.
    Nach dem halbstündigen Vortrag ist Hanns beeindruckt und gleicht das Gehörte mit den meist blutarmen Reden ab, die er sonst so geboten bekommt von all den Gutmenschen und Primalinken. Welch eine Verschwendung, denkt er. Oder auch nicht. Vielleicht ist Bosse ja der Mann der Zukunft. Zumindest hier in Frankenburg.
    Nach zwei Stunden Diskussion, die Hanns dann eher fad |272| findet, löst sich die Gruppe langsam auf. Die Apothekerin macht den Anfang. Die Bibliothekarin geht ins Bett, weil sie am nächsten Morgen früh rausmuss. Personalversammlung, murmelt sie und drückt Bosse einen Kuss auf die Wange, bevor sie vage in die Runde winkt.
    Am Ende bleiben Hanns und Bosse am Tisch sitzen. Bosse schlägt vor, noch eine Flasche Wein aufzumachen. Hanns denkt daran, dass er morgen mit Daniel reden wird. Er sollte nüchtern sein, wenn es so weit ist. Andererseits hat sich das Gespräch möglicherweise nach zehn Minuten erledigt. Das hält er auch mit Restalkohol durch. Also nickt er, und Bosse verschwindet noch einmal Richtung Küche. Geht zuerst pinkeln, lässt die Badezimmertür auf, so dass Hanns hören kann, wie es aus ihm fließt, als sei er drei Tage nicht auf dem Klo gewesen. Bosse kommt zurück mit einer Flasche Wein in der Hand und noch einer Tüte ungesalzener Erdnüsse. Wo er die nur herhat? Der ist doch kein Tofufresser, also kann er wohl auch anständige Erdnüsse kaufen.
    Die schmecken scheiße, sagt Bosse, Greta hat die falschen gekauft. Und ich hab nichts anderes im Schrank.
    Sie reden nicht viel in der nächsten Stunde. Trinken ihren Wein und plaudern ein bisschen über Frankenburg. Bosse erzählt, dass er hier mit zehn Jahren hergekommen ist, weil sein Vater, ein Offizier der Nationalen Volksarmee, ins Wehrkreiskommando versetzt worden war.
    Bist ein Offizierssöhnchen, entfährt es Hanns. Er findet es komisch, dass sein Gegenüber aus solchem Hause kommt.
    Bosse nickt und lächelt. Mutter Staatsbürgerkundelehrerin, Vater Offizier. ’ne Menge solcher Verbindungen haben Rechte wie mich in die Welt gevögelt. Glaubt man der Westpresse.
    Hanns grinst. Die Westpresse lügt, das wissen wir alle. Er |273| spürt eine kleine Vertrautheit mit dem bebrillten schmalen Typen, der ihm da gegenüber am Refektoriumstisch sitzt und guten Wein trinkt. Das vorhin war eine Rede goebbelsschen Ausmaßes, sagt er und hört nicht auf zu grinsen. Bosse lacht. Ja, das muss man können, sonst kommen wir nicht weiter. Du glaubst doch nicht allen Ernstes, dass solche Pfeifen wie Voigt oder Schönhuber irgendjemanden von irgendwas überzeugen können? Man muss schon Goebbels’ Qualitäten haben, um ein paar Leute um sich zu scharen.
    Damit wird er recht haben, der Rechte. Hanns horcht ein bisschen in sich hinein und stellt fest, dass die fette blaue Wut verschwunden ist. Zumindest jetzt, in diesem Augenblick. Das tut gut. Fast ist er geneigt, Bosse das ganze Dilemma der letzten Tage und Wochen zu erzählen. Darüber zu reden, was ihn morgen erwartet. Stattdessen fragt er: Bist du schon lange mit Greta zusammen?
    Bosse schüttelt den Kopf. Das wird auch nicht ewig halten, befürchte ich. Sie ist nicht aufgeschlossen genug. Zu fanatisch. Geht mir auf die Nerven und sieht zu sehr wie Bund Deutscher Mädel aus. Ehrlich gesagt, liegt mir Blond nicht. Ich war vorher mit einer Kubanerin zusammen. Halbkubanerin. Tochter eines Gastarbeiters.
    Gab es in der DDR nicht. Hanns greift nun doch nach den ungesalzenen Nüssen und versucht sich vorzustellen, wie Bosse mit einer Halbkubanerin durch Frankenburg läuft.
    Haben dich die blonden Gretchens dafür nicht gehasst, dass du mit so einer Schokoschnitte rumrennst?
    Hanns, du hast echt komische Vorstellungen von mir. Sehe ich aus wie einer, der sich vorschreiben lässt, mit wem er in die Kiste geht?

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