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Lokale Erschuetterung

Lokale Erschuetterung

Titel: Lokale Erschuetterung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Gerlof
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Schwenker vögeln, das könnte tröstlich sein. Wo ist Veronika? Er muss ihr die gute Scheißnachricht sofort erzählen. Hanns schaut ins Zimmer seiner Frau, und da ist niemand. Hatte sie etwas gesagt, ihm erklärt, warum sie nicht hier sein wird, wenn er sein Glück mit ihr teilen will? Hanns schaut auf ihrem Schreibtisch, ob ihm irgendetwas Auskunft geben kann, wo sich Veronika gerade herumtreibt. Er findet ein bekritzeltes Blatt, auf dem eine stilisierte Gebärmutter zu sehen ist, teilweise ausgemalt |112| und schraffiert. Er findet den Durchschlag einer Anzeige, die Veronika offensichtlich bei einem Mann namens Martin Wagemut erstattet hat. Gegen Unbekannt. Unbekannt hat was gegen Kanaken, steht auf der Anzeige. Und pinselt das auf Häuserwände. Er auch, wenn er es recht bedenkt. Seit kurzem hat er auch etwas gegen Kanaken. Irgendwann haben sie angefangen, ihn zu stören, die Brüder. Vor allem die Jungen mit den gestylten Frisuren, Fotzenbärtchen und goldenen Ketten. Diese Ichschlagdichurban-Typen, vor denen er Angst hat. Und die wahrscheinlich wirklich den einen und anderen in die Notaufnahme des Urban-Krankenhauses prügeln. Wenn er ehrlich ist, könnte er sich und anderen diese Angst eingestehen, und alles wäre besser. Aber kann ein Kerl in dieser Frage ehrlich sein?
    Hanns starrt auf den Zettel und fragt sich, wie Veronika auf die Idee kommt, Anzeige gegen Unbekannt zu erstatten, nur weil Unbekannt Kanaken totschlagen will. Warum tut sie so etwas? Er schaut auf den Terminkalender, der neben der Tastatur liegt. Sie hatten mal ausgemacht, dass Vroni, Veronika, alle Termine reinschreibt, damit er immer weiß, wo sie ist und wann sie wieder nach Hause kommt. Eine von den vielen schlechten Ideen, die sie hatten. Es dauerte nur ein paar Wochen, und er hatte angefangen rumzunörgeln. Zu viel Termine, unsinnige Termine, überflüssige Termine, Termine, mit denen er nichts anfangen konnte, auf die er neidisch war, die ihm nicht in den Kram passten, Zeit stahlen. Seine und Veronikas Zeit. Eigentlich war das der Hauptgrund, diese ganze gestohlene Zeit in einem Terminkalender verewigt zu sehen. Es kam vor, dass er sagte: Wieso hast du am Samstag einen Arbeitstermin, wieso fragst du mich nicht, ob ich etwas mit dir vorhabe? Oder mit uns.
    Dann fragte Vroni zurück: Was hast du denn vor?
    Das kann dir doch egal sein. Du bist ja schon vergeben.
    |113| Zuerst hatte Veronika nur selten reagiert auf seine kleinen Spitzen und Bosheiten, dann hatte sie sich verteidigt, dann war sie selbst ausfallend geworden, und am Ende schmiss sie den Terminkalender in den Müll. Es schien die beste Lösung. Und deshalb ist es jetzt auch nicht verwunderlich, dass er für den heutigen Tag keinen Eintrag findet. Warum Veronika sich überhaupt noch einen Kalender auf den Schreibtisch legt, weiß er nicht. Es scheint auch eher ein Regelkalender zu sein. An den vielen Kreuzchen, Doppelkreuzchen und Dreifachkreuzchen kann er ablesen, wie viele blutige Tage es in den vergangenen Monaten gegeben hat. Mehr als unblutige. So viel ist klar. Ein Wunder, dass Vroni noch nicht tot umgefallen ist. So viel Blut kann eine Frau doch nicht ungestraft verlieren, denkt Hanns und setzt sich. Steht gleich wieder auf und holt sein Handy. Wo bist du, fragt er, als Veronika zu hören ist.
    Im Park. Ich treffe mich hier mit einer Freundin. Meiner Gynäkologin, schiebt sie hinterher, als sei es so nachvollziehbarer.
    Hanns starrt auf den Tischkalender, der ein Regelkalender ist, und stellt keine Frage. Ich habe den Job, sagt er stattdessen. Am einundzwanzigsten Juni ist mein erster Arbeitstag. Fährst du mit mir nächste Woche nach Frankenburg, eine Wohnung suchen oder ein Zimmer?
    Ja, natürlich mache ich das. Wenn du es möchtest, Hanns. Wir finden bestimmt etwas Schönes. Jetzt muss ich. Da kommt. Veronika legt auf.
    Was ist eigentlich aus den Briefen geworden, denkt Hanns. Sie hat mir gar nicht erzählt, ob sie noch welche bekommt.

|114| 11. Kapitel
    Sabine Marschner ist pünktlich. Veronika sieht sie schon von weitem. Eine beeindruckende Frau, das denkt sie jedes Mal, wenn sie Sabine trifft. Auch in der Praxis geht es ihr so. Aber da liegt es sicher auch daran, dass man als hilflose Person auf einem Stuhl sitzt, oder besser, liegt und sich preisgibt.
    Mein Gott, stöhnt die Ärztin und lässt sich Veronika gegenüber auf einen Stuhl fallen. Was bin ich gerannt.
    Du hättest dir Zeit lassen können.
    Hör mal, ich habe mir vorgenommen, immer pünktlich zu sein.

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