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Lokale Erschuetterung

Lokale Erschuetterung

Titel: Lokale Erschuetterung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Gerlof
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mit zwei fremden Menschen Bier. Die Frau hatte Salzstangen in ein leeres Senfglas gestellt und Erdnussflips in eine grasgrüne Plastikschale geschüttet. Der Mann trug Pantoffeln, gelb-schwarz karierte Pantoffeln.
    Veronika rückt ein Stück in der Warteschlange nach vorn, noch drei Frauen stehen vor ihr. Sie grinst ein wenig bei der Erinnerung an diesen Abend. Hanns hatte das Gespräch dominiert. Ein absurdes Thema nach dem anderen hatte er ihnen aufgedrückt, und das Ehepaar war seinen Vorgaben verwirrt, aber willig gefolgt. Sie hatten über das Wohnungsbauprogramm der DDR geredet und über Rinderoffenställe, über das Krebsregister des Landes und die Erziehungsmethoden in Kindergärten und Kinderkrippen, über Ersttagsbriefe und Flossenschwimmen und Streckentauchen.
    Veronika geht aufs Klo. Während sie sich den Slip runterzieht, kann sie endlich über diese komische Erinnerung lachen. Flossenschwimmen und Streckentauchen, flüstert sie leise und wünscht sich, Hanns wäre jetzt hier und könnte diesen Moment teilen. Der Mann mit den Pantoffeln hatte sich mit verzweifeltem Ernst auf die Debatte eingelassen, ob es sinnvoll wäre, arbeitete sich die DDR in dieser Disziplin endlich an die Weltspitze. Eine edle Disziplin, hatte Hanns wieder und wieder gesagt und dabei so überzeugend ausgesehen, dass ihm der Pantoffelmann nur zustimmen konnte.
    Als Veronika wieder am Tisch sitzt, sieht Sabine unglücklich aus. Ich weiß nicht, ob es eine gute Idee ist, sagt die Gynäkologin und winkt der Kellnerin für einen zweiten Prosecco.
    Was kann passieren, will Veronika wissen, nun rück schon raus. Ich bin doch durch mit dem ganzen Programm. In drei Wochen lasse ich mir drei Schlüssellöcher bohren |118| und die Gebärmutter entfernen. Wir reden hier sowieso nur über die Vergangenheit.
    Wir haben ja bei deinem ersten Termin bei mir zuerst die Anamnese gemacht, wie es so üblich ist. Sabine trinkt das halbe Glas Prosecco in einem Zug.
    Da gab es nicht viel zu bereden. Ich hatte damals noch erträgliche Regelblutungen. Zwar immer Bauchschmerzen, wenn sie kam, die Regel, aber alles ging irgendwie. Schlimm ist es doch erst später geworden. Nach.
    Veronika macht eine Pause. Sabine will mit ihr jetzt aber nicht über das tote Kind reden. So brutal ist sie nicht. Das ist vergraben und nicht vergessen. Darüber wird nicht gesprochen.
    Als ich dich dann untersucht habe, war mir ziemlich schnell klar, dass du schon einmal geboren haben musstest. Man erkennt es an der Form der Öffnung des äußeren Muttermunds. Hat die Frau noch nicht geboren, sieht die aus wie ein Grübchen, also eher rund. Bei einer Frau, die schon einmal geboren hat, gleicht die Öffnung einem quer verlaufenden Spalt. Man kann die obere von der unteren Muttermundlippe unterscheiden. Bei dir war das so. Es gab keinen Zweifel.
    Veronika sieht eine uralte Frau Brotkrumen in den Ententeich schmeißen. Drei Kinder stehen neben ihr und beobachten, wie die Enten, vollgefressen und satt vom vielen Brot, das ihnen hier Tag für Tag gereicht wird, nicht lassen können von dem Angebot. Und sich noch voller und satter fressen. Was Sabine da sagt, hat mit ihr nichts zu tun. Sie muss dabei bleiben, dass es nichts mit ihr zu tun hat. Ich wäre nie auf die Idee gekommen, dass man es sieht, denkt Veronika. Warum hat mir das keiner gesagt? Warum bin ich nicht selbst draufgekommen?
    Ich habe kein Kind. Veronika sagt den Satz und schaut weiter der alten Frau zu.
    |119| Die schüttet die letzten Brotkrumen aus der Tüte, die sie sorgfältig zusammenfaltet und in die altmodische Handtasche steckt. Die drei Kinder verziehen sich, lassen die Alte allein, die nun keine Attraktion mehr ist, sondern nur eine einsame Frau, die nichts zu geben und nichts zu sagen hat. Warum sollte sie mir glauben, denkt Veronika und schaut Sabine an, die ihr hochrot und verlegen gegenübersitzt und schweigt. So etwas weiß man ja wohl.
    Ich habe kein Kind. Du irrst dich, Sabine. Meinst du nicht, ich müsste das wissen? Wenn ich ein Kind hätte, wüsste ich das doch.
    Vielleicht, sagt Sabine und verstummt.
    Vielleicht was? Du glaubst, ich hätte schon einmal ein totes Kind zur Welt gebracht? Und es vergessen?
    Es muss ja nicht tot gewesen sein.
    Veronika steht auf und geht zum Teich. Stellt sich neben die alte Frau und guckt zu den Enten, die sich entfernt haben. Auf dem Teich schwimmt aufgequollenes Brot. In Mengen schwimmt es da.
    So macht das keine Freude, sagt die alte Frau und nickt, als müsse sie sich

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