Lokale Erschuetterung
Oberstübchen? |125| Er schaut auf Veronika und meint, ein anderes, ein trübes Licht in ihren Augen zu sehen.
Was war heute los, will er wissen, und Veronika zuckt zusammen. Was war heute los? Du hast doch was, ich kann das sehen.
Ihr Kopfschütteln, bockig wie ein kleines Kind schaut sie nach unten, auf ihre Knie, und schüttelt und schüttelt den Kopf. Hanns glaubt, dass sie ihn hasst. Jetzt gerade hasst sie ihn. Weil er etwas von ihr wissen will. Weil er möchte, dass sie ehrlich ist, ihn einweiht, Trost bei ihm sucht. Er will, dass sie ihn für einen starken Mann hält. Ihren starken Mann, wenn es nach ihm geht.
Ich bin das Alpha und das Omega, Vroni. Vergiss das nicht. Das A und das O. Der Erste und der Letzte. Der Anfang und das Ende.
Hanns trommelt mit zwei Fingern auf die Tischplatte und denkt sich groß und stark. Aber bitte, sie kann es auch anders haben. Ihm geht es doch ebenfalls nicht gut, wenn er sich diese Schnepfe ansieht, die seine Frau ist. Dieses verschlagene kleine Miststück. Er kann sehen, dass sie genau weiß, wie sehr sie ihn wieder hängenlässt. Jetzt, wo er nichts weniger braucht. Wo er Unterstützung nötig hat. Was hat er ihr getan, dass sie ihn so zum Affen macht. Wie soll ihm da jemals wieder der Schwanz stehen, wenn sie ihn derartig für blöd verkauft?
Hanns steht auf und geht in den Flur. Nimmt seine Wildlederjacke vom Haken, an die er sich schon gewöhnt hat, als sei es ein uraltes Erbstück. Geht noch einmal ins Zimmer. Legt Veronika die rechte Hand auf die Schulter, die linke auf den Kopf. Dreht sie so, dass sie ihn anschauen muss.
Ich gehe eine Runde laufen. Hör auf, mich für. Hör auf, dich zu verschließen. Ich will wissen, was mit dir los ist.
Veronika nickt und dreht sich weg.
|126| Geh du, sagt sie. Morgen arbeite ich, und übermorgen fahren wir eine Wohnung für dich suchen. Es ist alles in Ordnung, Hanns. Mach dir keine Sorgen.
Zwei Tage später schlendern sie durch Frankenburg. Es ist kein Markttag. Hanns hat drei Termine gemacht. Zwei Wohnungsbesichtigungen und ein Treffen mit dem Mann, den er beerben wird. Jochen Moltke. Der noch genau vier Wochen als Lokalredakteur arbeiten wird. So lange, bis Hanns weiß, wo es langgeht und wie die Dinge laufen. Vroni will in der Zeit, die er mit Moltke braucht, durch die Läden bummeln. Sagt sie. Da wird sie ihre Freude haben, denkt Hanns. Hier durch die Läden zu bummeln, kann eine Berlinerin ja wohl nicht glücklich machen. Aber vielleicht ist das bei Vroni anders. Vielleicht gefällt ihr ja das Ambiente. Hanns grinst. Das Ambiente, denkt er, wie blöd bin ich eigentlich? Er drückt seiner Frau einen Kuss auf die Wange und schlägt vor, dass sie sich in drei Stunden im Eiscafé am Marktplatz treffen. Das sieht so aus, wie Eiscafés aussehen. Bis zum frühen Abend kann man sich hier halbwegs wohl fühlen, am Abend aber wird es sicher das reine Elend. Er wird es testen. Jeden Laden der Stadt wird er testen.
Hanns läuft quer über den Platz. Rechts neben der Apotheke biegt er in eine kleine Straße ab. Gleich im ersten Laden arbeitet die Lokalredaktion. Vom Marktplatz aus gut zu sehen. Die Schaufenster sind eine einzige Reklamewand. Preisausschreiben, Wanderungen, die Lokalseiten des Tages, irgendeine Sommerparty auf dem Parkplatz des Einkaufszentrums mit DJ Milo. Bunt und traurig bietet sich Hanns das halbe Kleinstadtleben dar. Ansonsten versperren Lamellenjalousien den Blick nach innen. Hanns geht rein in den Laden, der seinen künftigen Arbeitsplatz beherbergt, und wird von einer älteren Frau begrüßt, die an |127| einem brechend vollen Schreibtisch sitzt. Guten Tag, sagt sie, Sie wünschen?
Ich bin mit Herrn Moltke verabredet. Grabowski, Hanns Grabowski.
Die Frau lächelt und steht auf. Herzlich willkommen, Herr Grabowski. Ich bin Irene Paulsen.
Irene Paulsen also, die Frau für alle Fälle. Hanns nimmt die ausgestreckte Hand der Frau und sieht sich mit Irene Paulsen hier am vollen Schreibtisch sitzen und aus großen Kaffeetassen schlürfen. Auf den Tassen steht Frankenburger Rundschau. Wahrscheinlich steht das drauf.
Haben Sie schon eine Wohnung gefunden? Oder ein Zimmer?
Hanns schüttelt den Kopf. Ich schau mir nachher mit meiner Frau zwei Wohnungen an.
Ihre Frau zieht mit hierher?
Vorerst nicht. Erst mal sehen, wie es läuft.
Irene Paulsen nickt, als wüsste sie genau, was ihr neuer Chef da meint. Neben einem großen Aktenschrank, der mit sauber beschrifteten Ordnern gefüllt ist, geht eine Tür auf.
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