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Lolita (German)

Lolita (German)

Titel: Lolita (German) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Nabokov
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freundliche Mrs. Hays hatte inzwischen den Doktor des Städtchens benachrichtigt. «Sie haben Glück, daß es gerade hier passiert ist», sagte sie; denn nicht nur sei Blue der beste Arzt des Bezirks, sondern das Krankenhaus von Elphinstone sei trotz seiner beschränkten Aufnahmefähigkeit auch das Modernste vom Modernen. Von einem heterosexuellen Erlkönig verfolgt, raste ich dorthin, direkt in den blendenden Sonnenuntergang, der von der Tiefebene her über strahlte, geleitet von einer winzigen Alten, einer Hexe in Taschenformat, vielleicht Erlkönigs Tochter, die Mrs. Hays mir mitgegeben hatte und die ich nie wiedersehen sollte. Dr, Blue, dessen Wissen offensichtlich sehr viel geringer war als sein Ruf, versicherte mir, es sei eine Virusinfektion, und als ich darauf hinwies, daß Lolita erst vor verhältnismäßig kurzer Zeit Grippe gehabt habe, sagte er trocken, dies hier sei ein anderer Erreger, er habe vierzig solcher Fälle in Behandlung; was sich für mich alles so anhörte wie das «Fieber» alter Belletristen, Ich überlegte, ob ich mit einem beiläufigen Schmunzeln erwähnen sollte, meine fünfzehnjährige Tochter habe unlängst einen kleinen Unfall gehabt, als sie mit einem Freund über einen i dummen Zaun kletterte, aber da ich wußte, daß ich stockbetrunken war, beschloß ich, die Mitteilung, wenn sie überhaupt nötig sein sollte, für später aufzusparen. Einem mürrischen blonden Biest von Sekretärin gab ich ; das Alter meiner Tochter mit «beinahe sechzehn» an. Als ich gerade nicht hinsah, nahm man mir mein Mädchen weg! Vergebens bat ich um die Erlaubnis, die Nacht auf der Türmatte mit der Aufschrift «Willkom- ; men!» in einer Ecke ihres verdammten Hospitals verbringen zu dürfen. Ich rannte konstruktivistische Treppenhäuser hinauf, suchte mein Herzblatt aufzuspüren, um ihm zu sagen, es solle seine Zunge hüten, besonders wenn es sich im Kopf so umnebelt fühle wie wir alle. Irgendwann war ich scheußlich grob zu einer sehr jungen und sehr frechen Krankenschwester mit überentwickeltem Hinterteil und funkelnden schwarzen Augen - baskischer Herkunft, wie ich später erfuhr. Ihr  Vater war Schäfer, importiert, um Schäferhunde abzurichten. Später kehrte ich zum Wagen zurück und blieb ich weiß nicht wie viele Stunden darin, im Dunkel zusammengekrümmt, von meiner ungewohnten Einsamkeit betäubt, mit offenem Mund bald auf das schwacherleuchtete, sehr quadratische und niedrige Hospitalgebäude hinausblickend, das in der Mitte eines Rasengevierts kauerte, bald hinauf zum rauchigen Strudel der Sterne und den gezackten, silbrigen Zinnen der haute montagne, wo in diesem Augenblick Marys Vater, der einsame Joseph Lore, von Oloron, Lagor oder Rolas - que sais-je! - träumte oder ein Mutterschaf verführte. Solcherlei wohlig vagabundierende Gedanken gereichten mir in Zeiten außerordentlicher Anspannung immer zum Trost, und erst als ich mich trotz häufigen Gebrauchs des Flachmanns von der endlosen Nacht ziemlich benommen fühlte, kam es mir in den Sinn, ins Motel zurückzufahren. Die Alte war verschwunden, und ich war meines Weges nicht ganz sicher. Breite Kiesstraßen liefen quer durch schlaftrunkene, rechteckige Schatten. Auf einer freien Fläche - wahrscheinlich einem Schulhof - erblickte ich etwas, das wie die Silhouette eines Galgens aussah; und auf einem anderen öden Gelände erhob sich in einer Kuppel aus Schweigen der bleiche Tempel einer ortsansässigen Sekte. Endlich fand ich die Autostraße und dann das Motel, wo Millionen sogenannter «Müller», einer Art von Insekt, die Neonumrisse von «Alles besetzt» umschwärmten; und als ich um drei Uhr morgens, nach einer jener unzeitigen heißen Duschen, die wie ein Fixierbad nur Verzweiflung und Ermüdung noch dauerhafter fixieren, auf ihrem Bett lag, das nach Kastanien und Rosen und Pfefferminz roch und nach dem sehr raffinierten französischen Parfüm, das ich ihr letzthin zu benutzen erlaubt hatte, fühlte ich mich unfähig, die einfache Tatsache zu fassen, daß ich zum ersten Mal seit zwei Jahren von meiner Lolita getrennt war. Plötzlich kam mir der Gedanke, daß ihre Krankheit nichts anderes war als die Weiterentwicklung eines Grundthemas - daß sie das gleiche Arom und die gleiche Tönung hatte wie die Serie ineinandergreifender Eindrücke, die mich auf unserer ganzen Reise irritiert und gequält hatten; ich stellte mir vor, wie jener Geheimagent oder Geheimliebhaber oder Witzbold oder jenes Geschöpf meiner Halluzination oder was

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