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London Boulevard - Kriminalroman

London Boulevard - Kriminalroman

Titel: London Boulevard - Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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analysieren.
    John del Vecchio, The 13th Valley - »Hat nichts zu bedeuten, fahr weiter.«
    Tu so als ob.
    Natürlich stand wieder eine Schlange am Schalter, alle müssen sie mit Scheck oder Karte zahlen. Eine Wochenkarte hatte ich nicht, weil ich mir sowieso schleunigst einen Wagen zulegen wollte.
    Vor mir stand ein älterer Herr, der sich wegen der Wartezeit empörte. Endlich bekamen wir unsere Fahrscheine und gingen zu den Kontrollsperren. Beim Passieren verlor der alte Herr seine Brieftasche.
    Eine fette Brieftasche.
    Und nur ich hatte es gesehen - und der Aufpasser an den Sperren.
    Da ist dieser Moment, der eine herrliche, endlose Sekunde dauert, in dem der Instinkt die Überzeugungen beherrscht. Ich bückte mich, hob sie auf, sagte:
    »Sir, ich glaube, das gehört Ihnen.«
    Der Aufpasser starrte mich an, ich starrte zurück, dann tippte er sich mit dem Zeigefinger an die Kappe. Der alte Mann staunte und freute sich.
    Ich tat seine Dankbarkeit mit einem Schulterzucken ab. Ich kenne mich ziemlich gut. Wenn man nach Einschluss zwölf Stunden lang in seinem Stockbett liegt, bekommt man Einblick in die eigenen Tiefen. Hätte der Aufpasser nichts gesehen, hätte ich sie behalten, keine Frage.
    Ich stieg ein, setzte mich in eine Ecke, wollte gerade meinen Walkman einschalten. »Dance Me to the End of Love« und »Famous Blue Raincoat« von Leonard Cohen lagen drin. Von mir aus konnte es losgehen.
    Der alte Herr setzte sich neben mich, sagte:
    »Ich möchte Sie auf keinen Fall belästigen, aber ich bin Ihnen überaus dankbar.«
    Sein Akzent klang gezierter als der von Margaret Thatcher bei der Regierungserklärung zur Einführung der Kopfsteuer. Ich nickte. Ermutigt sagte er:
    »Ich muss Ihnen eine äußerst bemerkenswerte Geschichte erzählen. Passend zum soeben Geschehenen, sie erinnert sozusagen daran.«
    In London hat jeder Windhund eine Geschichte zu erzählen. Ich wünschte nur, sie müssten sie nicht alle in der U-Bahn loswerden wollen. Aber los ging’s.
    »Von mir wurde eine Urinprobe verlangt!«
    Hier machte er eine Pause, um sich zu vergewissern, dass ich mit dem Begriff Urin etwas anzufangen wusste, dann:
    »Da es mir schwerfiel, diese im Krankenhaus zur Verfügung zu stellen, hieß es, ich dürfe es zu Hause versuchen.«
    Ich versuchte, eine Miene aufzusetzen, als würde ich jedem einzelnen Wort gebannt lauschen.
    »Aber, mein Lieber, wie transportiert man das?«
    War mir scheißegal, ich sagte:
    »Schwierig.«
    »Ich benutzte also eine vermaledeite Johnnie-Walker-Flasche.«
    Falls er Lob dafür erwartete, ich konnte ihm keins schenken. Er fuhr fort:
    »Unterwegs machte ich bei der Post Halt, um meine Rente abzuholen.«
    »Hmmmmhh.«
    »Als ich wieder herauskam, war die Flasche weg. Ist das nicht zum Schießen?«
    Wir waren am Embankment angekommen und ich musste in die Circle Line umsteigen. Ich sagte:
    »Behalten Sie so was lieber für sich.«
    Er lächelte, wenn auch ein bisschen verunsichert.

F reitag stieg ich aufs Dach. Es war stark reparaturbedürftig, und ich beschloss, Jordan davon in Kenntnis zu setzen. Er sagte:
    »Wir vertrauen darauf, dass es einen weiteren Winter übersteht.«
    »Soll ich mich also nicht drum kümmern?«
    Er lächelte müde, sagte:
    »Beheben Sie die gröbsten Schäden, wir möchten nicht, dass Madame nass wird.«
    Das durfte ich wohl verstehen, wie ich wollte. Nachdem ich den ganzen Tag lang kosmetische Reparaturen durchgeführt hatte, war mir schwindlig. Ich beschloss, unter die Dusche zu springen und mir ein Bier zu holen. Dieses Mal wartete kein neuer Trainingsanzug auf mich. Und tatsächlich, ich war wirklich ein kleines bisschen enttäuscht.
    Meine erste komplette Woche mit wenn schon nicht ehrlicher, so doch wenigstens geregelter Arbeit. Jordan tauchte auf, überreichte mir einen Umschlag, sagte:
    »Wir nahmen an, Sie bevorzugen Bargeld.«
    »Gut gedacht, Jordan.«
    Er ging nicht, und ich hatte Lust, »Wegtreten!« zu rufen. Aber ich sagte:
    »Was?«
    »Wollen Sie’s nicht zählen?«
    »Ich vertraue Ihnen, mein Freund.«
    Er schnickte ein Haar von seinem Jackenaufschlag, sagte:
    »Das wäre ein schwerer Fehler.«
    Ich zählte es, meinte:
    »Scheiße ... ist das für eine Woche oder einen Monat?«
    Er lächelte. Ich war nicht außer mir vor Freude, aber ich war ein zufriedener ehemaliger Sträfling und sagte:
    »Was hältst du davon, Jordy, wenn wir in deine Stammkneipe ziehen und ich dir einen ausgebe?«
    Ein Augenblick verging, dann: »Ich fraternisiere nicht mit

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