London Hades
was er wollte, was ihm missfiel. Jetzt benahm er sich wie ein Kind. » Ich knie nie. Vor niemandem « , stellte Henry fest.
Nathan erwiderte nichts. Er hob nicht die Lider, presste die Lippen aufeinander. Henry sandte einen Seufzer durchs marode Dachgeb ä lk, verharrte vor Nathan und sah ihn an. Keine seiner Verletzungen hatte seinen Z ü gen etwas von ihrer Eleganz nehmen k ö nnen. Henry hatte die Erfahrung gemacht, dass manche M ä nner schneller alterten, sobald sie das drei ß igste Lebensjahr ü berschritten hatten, als ob sie diese Tatsache allein dem Tod einen gewaltigen Schritt n ä her bringen w ü rde. Aber selbst die feinen F ä ltchen um Nathans fest geschlossene Augen und die H ä rte seiner Z ü ge konnten ihm im Moment nicht den Ausdruck eines Knaben nehmen, der sich vor Geistern in seinem dunklen Zimmer f ü rchtete.
Henry legte den Lappen fort, um eine lose Haarstr ä hne hinter Nathans Ohren streichen zu k ö nnen. » Zum Gl ü ck tust du das nicht im Angesicht deiner Klienten, Constable Emerson. « Allm ä hlich belustigte es ihn, wie hartn ä ckig der Freund sich weigerte, ihn anzusehen.
Diesmal fragte Nathan: » Was? «
» Die Augen schlie ß en. «
Nur ein L ä cheln spannte seine breiten Lippen. Und schon wieder verstrich Zeit.
Henry beschloss, ihn einfach vor dem Kamin sitzen zu lassen. Wenn es das war, was Nathan wollte, konnte er nichts daran ä ndern. Er wollte sich erheben, aber da festigte sich der Griff um sein Handgelenk und zwang ihn, in seiner Position zu verharren. Irritiert hing er an Nathans Lippen, bis diese bereit waren, wieder mit ihm zu sprechen. Er mochte es nicht, hart angefasst zu werden. Normalerweise h ä tte er sich losgerissen, aber er wollte es nicht tun, bevor er wusste, warum der Freund es tat.
Er glaubte, dessen Lippen beben zu sehen, als Nathan endlich den Mund ö ffnete. » Du bist sch ö n. «
» Wie kannst du das sehen? « , fragte Henry ihn am ü siert.
Endlich hob Nathan die Lider, und seine braunen Augen tauchte aus der Dunkelheit ihres Versteckes auf. » Weil ich dein Bild vor Augen habe, selbst wenn sie geschlossen sind. «
Nun war Henry es, der sprachlos verharrte. Dann sprang er auf. Seine Hand entglitt Nathans Umklammerung. Seine Beine waren so weich, als h ä tte er zuviel Gin im Blut.
Nathan setzte ihm nach und griff nun nach seinen Oberarmen.
» Tu mir nicht weh « , sagte Henry. Ihm war so seltsam schwindelig, er hatte das Gef ü hl, jederzeit durch Nathans H ä nde hindurchgleiten zu k ö nnen. Und zu allem Unheil lie ß der Constable ihn sofort wieder los.
» Tue ich das? Entschuldige … Verdammt, ich wei ß nicht, was ich hier mache! « Er drehte sich abrupt von Henry weg, griff nach seinem Mantel, nur um ihn sofort wieder fallen zu lassen.
Henry wollte nicht Teil dieses Kampfes sein, den Nathan mit sich ausfocht, auch wenn er fast sicher war, dass es dabei um ihn ging. Viele M ä nner hatte in diesem Zimmer die Panik ü berkommen, als ob es hier das Schicksal der Welt zu entscheiden g ä be und nicht nur den Kampf mit dem letzten Hosenknopf. Einige flohen, die anderen blieben.
Aber gab es denn jetzt etwas zu entscheiden?
Nathan lie ß den Kopf sinken, beugte den Nacken nach vorne, dann schlie ß lich zerrte er sich das Hemd ü ber den Kopf. Er bebte vor der Kulisse des Kaminfeuers, das huschende Schatten auf seinen R ü cken zeichnete.
Henry streckte vorsichtig die Hand nach ihm aus. Was dachte der Freund, warum er ihn heraufgebeten hatte? Er erwartete nichts von Nathan, er hatte nichts dergleichen geplant, au ß er ihm einen Ort zum Ausruhen zu geben. Er brauchte keine Gegenleistung. So war es doch gewesen … Dennoch zitterte nun seine Hand ü ber Nathans Haut, als wollte sie ihn selbst der L ü ge bezichtigen. Weil der Freund etwas von ihm verlangen k ö nnte, das Henry nicht zu geben bereit war? Er hatte es mit hundert anderen getan, warum also nicht mit Nathan?
Die Frage verblasste, als sich der Constable pl ö tzlich zu ihm herumwarf, seine Augen heller als das Kaminfeuer. Und als ob er das f ü hlen w ü rde, sah Nathan schnell wieder fort. Schlie ß lich drehte er die Handfl ä chen nach au ß en. » Hilf mir « , brachte er hervor.
Als ob er das k ö nnte! Henry wusste selbst nicht, was er tun sollte. Er starrte Nathan an, als w ä re dieser – abgesehen von ihm selbst – der erste halb nackte Mann, den dieses Zimmer je gesehen hatte, und sp ü rte argw ö hnisch dem Prickeln nach, das sich in seinem Bauch
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