London Hades
sagte: » Nein, das tut er nicht. Und ihr gefallt mir auch nicht. Also verschwindet! «
Einer der Kerle machte einen drohenden Schritt auf sie zu. » So sollest du nicht mit uns sprechen, S üß e! «
» Ja, genau « , lallte der Betrunkene und kroch wieder n ä her an sie heran.
Die Wand hinter ihr tat ihr nicht den Gefallen, sie zu verschlucken, aber daf ü r lenkten Rufe, die hinter den R ü cken der Kerle im Schankraum laut wurden, die Burschen pl ö tzlich von ihr ab: »Ä rsche zur Wand, M ä nner! Da kommt Henri! «
Was hatte das nun wieder zu bedeuten? Die M ä nner vor ihr verzogen angewidert die Gesichter. Der Ä lteste von ihnen winkte ab. » Bah, los Jungs, der Bursche kommt hier r ü ber. « Er griff nach seinem betrunkenen Kumpan und zerrte ihn von der Bank hoch. Dann zogen die drei ab.
Sie gaben den Blick auf einen jungen Mann frei, der sich mit einem Spazierstock den Weg durch die Menge bahnte. Er stoppte an der Theke, wo die Bedienung ihm etwas zufl ü sterte und zu Frances hin ü bergestikulierte. Sie sah den Mann lachen, dann in ihre Richtung kommen.
Wollte ihr das Schicksal denn heute gar keine Ruhe g ö nnen? Sie wollte niemanden kennen lernen, vor dem die anderen M ä nner im Schankraum derart zur ü ckwichen, wenn er sie passierte. Ein arrogantes L ä cheln prangte auf den Lippen des Fremden. Seinen Spazierstock benutzte er wie einen Degen, mit dem er sich den Weg frei focht. Inmitten der Angetrunkenen, von denen sich einige sogar schon unschicklicherweise ihrer Jacken entledigt hatten und hemds ä rmelig gaben, wirkte er wie eine Offenbarung der Eleganz. Sein Anzug sa ß tadellos. Bei jeder Bewegung schwangen die Faltlagen seiner Rocksch öß e wie einstudiert. Der braune Stoff bildete einen auff ä lligen Kontrast zu seiner milchwei ß en Haut, die sein Gesicht unnat ü rlich leuchten lie ß und ihn mit Unnahbarkeit umgab.
Als er die Truppe passierte, die Frances bel ä stigt hatte und die nun versuchte, m ö glichst unbeteiligt am Rande zu stehen, machte er einen pl ö tzlichen Ausfallschritt auf die M ä nner zu. Er sagte nichts, aber seine Lippen formten sich zu einem tonlosen » Buh! « , und die drei sprangen wie ein einziger Mann zur ü ck. Als w ä re nichts geschehen, schlenderte er an ihnen vorbei und lie ß sich schlie ß lich wie beil ä ufig neben Frances sinken.
Sie konnte nicht von ihm wegr ü cken, weil sie schon g ä nzlich in die Ecke gedr ä ngt sa ß . Mit aufgerissenen Augen sah sie ihn von der Seite her an.
Der Mann schien abzuwarten, drehte den langen, versilberten Griff seines Stockes in den H ä nden und beobachtete, wie er zwischen seinen Fingern kreiste. Schlie ß lich stoppte er ihn wieder. » So « , sagte er, ohne Frances anzusehen. » Du hast nach mir gesucht? «
Sie bekam kein Wort heraus. Das » du « zauberte eine Vertrautheit zwischen sie, die es nicht geben sollte. Sie kannte den Mann nicht, und sie wollte von niemandem mehr bel ä stigt werden.
Der Fremde wandte ihr den Blick zu. Seine Augen waren fabelhaft blau. » Kennen wir uns nicht? «
Frances sch ü ttelte z ö gernd den Kopf, dann stand sie auf. » Sie sind nicht mein Bruder. « Was hatte sie erwartet? Dass der echte Henry einfach so hier hereinspazierte und sie nach all den Jahren als lang vermisste Schwester wiedererkannte? Sie verachtete sich f ü r ihre Naivit ä t.
» Ich bedaure, nein, das bin ich wohl nicht. Wie hei ß t er? «
» Henry Drake. « Sie wandte sich um.
» Eine Verwechslung. Meine Name ist Henri Nicolas, Mademoiselle. « Er deutete eine alberne kleine Verbeugung an.
Woher kannte sie nur diesen gestelzten Akzent? Sie riskierte einen Blick zur ü ck und erntete ein offenes L ä cheln. Das war mehr, als sie bisher den ganzen Tag ü ber bekommen hatte.
» Willst du schon gehen? «
Auch, wenn das jetzt wohl das Kl ü gste w ä re, wohin h ä tte sie gehen sollen? Frances seufzte. Dann lachte sie, lie ß sich zur ü ck auf die Bank neben den Fremden fallen und fing an zu weinen. Sie konnte die Tr ä nen nicht mehr aufhalten, und sie wollte es auch nicht. Sie heulte all die Entt ä uschungen des Tages aus sich heraus. Dass der Fremde aufstand und sich entfernte, bemerkte sie kaum.
Etwas blitzte silbern in ihren Augenwinkeln, durch den Tr ä nenschleier zigfach reflektiert. Er hatte seinen Spazierstock neben ihr stehengelassen. Sie lachte wieder, ohne den Grund daf ü r zu wissen, hustete, heulte weiter. Der Damm war unhaltbar gebrochen. Als zwei Becher und ein
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