London Hades
solange auf dich Acht. « Henri zwinkerte ihr zu, dann wanderte er den S ä ulengang hinunter und verschwand in der Stra ß e, welche die Kolonnaden von links kommend in einiger Entfernung unterbrach.
Noch eben hatte sie sich gew ü nscht, dass er sich verfl ü chtigte. Jetzt f ü hlte sie sich auf unsagbare Weise verlassen. Unschl ü ssig wandte sie sich zu dem gro ß en Marktplatz um, der von den Laternen der Kolonnaden nur unzul ä nglich beleuchtet wurde. Um sie herum flanierten Gruppen von Am ü sierwilligen durch das Halbdunkel, mehr maskiert durch das n ä chtliche Grau, als durch unauff ä llige Kleidung. Ungeniert lehnten aufgeputzte Frauen an den S ä ulen der Kolonnaden und machten vorbeikommenden M ä nnern mit eindeutigen Gesten klar, wozu sie hier waren. Ganz in der N ä he der hell erleuchteten Bretterbuden, die sich am anderen Ende der Piazza eng in der Finsternis zusammendr ü ckten, quietschten Frauenstimmen vor Vergn ü gen. Gejohle und Musik lagen ü ber dem Platz, es herrschte eine Stimmung wie auf einem Jahrmarkt.
In Frances hingegen war nur Leere. Sie kniff die Augen zusammen, blickte sich um, aber sie konnte sich weder daran erinnern, von wo sie gekommen war, noch wo Madam Margrets Haus lag. Sie richtete den Blick nach oben, in die Dunkelheit, die ü ber ihr hing und mit jeder Sekunde ein St ü ck n ä her zu kommen schien, eine dunkle Presse, die sie unter sich zermahlen wollte, so wie die Last ihrer Sorgen.
Es hatte eine Weile gedauert, bis Matthew begriff, warum ihm das Atmen so schwerfiel. Man hatte einen Sack ü ber seinen Kopf gezogen und ihn um seinen Hals herum zugebunden, so, dass er gerade noch Luft bekam. Er brachte seine Arme kaum dazu, sich zu heben, sie zitterten schlimmer noch als seine Finger, w ä hrend er versuchte, die Schnur zu l ö sen.
Endlich gab der Knoten nach! Er riss den Sack herunter, ohne dass es dadurch um ihn herum auch nur einen Deut heller geworden w ä re, und saugte abgestandene Luft in seine Lungen. Mit den tiefen Atemz ü gen kamen die Schmerzen. Jede Faser seines K ö rpers tat weh, besonders sein Brustkorb, aber soweit Matthew das feststellen konnte, schien nichts gebrochen zu sein. Als ihn Mr. Pritches ’ Bulle vor einem Jahr bei einem fehlgeschlagenen Versuch, das aufgebrachte Tier zu beruhigen, niedergetrampelt hatte, war es ihm wesentlich schlechter gegangen.
Er wusste, dass es das Beste war, flach liegen zu bleiben, m ö glichst ruhig zu atmen. Und tats ä chlich wurden die Schmerzen ertr ä glicher, als er eine Weile lang konzentriert ein- und ausgeatmet hatte. Aber in demselben Ma ß e, in dem sie ihn loslie ß en, ergriff die Einsicht von ihm Besitz, was mit ihm geschehen war: Die Schwarzberockten hatten ihn zusammengeschlagen und in einen anderen, g ä nzlich lichtlosen Kerker geschleppt.
Es stank hier bestialischer als in dem Kellerloch unterhalb der Ginschenke, dass er sich in den letzten Wochen mit fast ein Dutzend anderen Dieben geteilt hatte. Aber dort hatte er sich wenigstens unterhalten k ö nnen. Er war dann und wann an einen Stummel Kohlestift gekommen, und wenn die anderen dann durch die Stadt gestreift waren, hatte er sich nichts als Zeit gestohlen, um in einem dieser seltenen, ruhigen Augenblicke Notizen in sein B ü chlein machen zu k ö nnen. Alles war nur halb so schlimm, wenn er schreiben konnte.
Er wusste nicht, wie lange er schon hier gelegen hatte, aber er vermutete, dass es wenigstens vier Tage her war, dass er zuletzt hatte schreiben k ö nnen. Er sp ü rte, dass sein Notizbuch noch immer hinter seinem Hosenbund steckte, aber einen Stift besa ß er seit Tagen nicht mehr. Der Gedanke jagte Unruhe in seine Glieder und lie ß ihn zittern wie den alten Strozzini, wenn dieser die zwei Shilling f ü r sein Fl ä schchen Opium nicht mehr aufbringen konnte.
Matthew grub die Finger in den Untergrund, um sie ruhigzustellen. Der Boden, auf dem er lag, war klamm. So war es wohl nicht nur die Entbehrung, die ihn zittern lie ß , sondern vielmehr auch die Feuchtigkeit, die seine Kleidung durchdrungen hatte.
Mit weit aufgerissenen Augen stierte er in die Finsternis. Als ob er ihr irgendwann Herr werden w ü rde, wenn er es nur lang genug versuchte … Vielleicht wurde er jetzt schon n ä rrisch? Er konnte sich einfach nicht vorstellen, wem daran gelegen war, ihn hier einzupferchen. Wem h ä tte er je Grund dazu gegeben? Er hatte immer getan, was die Diebe von ihm verlangten, sich bem ü ht, ihnen das Geld zu bringen, das sie im
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