London Hades
kompletten Gegenteil ü berzeugt zu sein scheint! «
Die Verwirrung in Henris Augen wuchs, und sie hatte das Gef ü hl, noch einmal lauter werden zu m ü ssen, damit er sie verstand. » Ich bin keine Hure! «
» Wer hat das behauptet? «
» Alle behaupten das! « , rief sie. » Die halbe Stadt hat mich heute schon angetatscht und mir … mir Angebote gemacht! «
» Ich hatte nichts dergleichen vor « , beteuerte Henri und zog die Hand zur ü ck, die er nach ihr ausgestreckt hatte, wahrscheinlich um sie wieder neben sich zu ziehen. » Du musst schon entschuldigen, aber wenn du dich um diese Zeit an so einen Ort begibst, erweckst du schnell den Eindruck, leicht zu haben zu sein. «
Frances klappte den Mund zu. Der Pastor hatte ihr oft genug klar gemacht, dass anst ä ndige Frauen sich nicht in Tavernen herumtrieben.
» Sieh dich mal um. Glaubst du etwa, das sind feine Damen? « Henri wies mit der Pfeifenspitze zu zwei M ä dchen hin ü ber, die gerade den Schankraum betraten. Sie klammerten sich aneinander fest, damit ihre schwankenden Schritte sie nicht direkt vor einem nahe der T ü r postierten Herrengr ü ppchen, das sie johlend begr üß te, von den Beinen rissen.
Frances schob die Unterlippe vor. » Und bist du denn ein feiner Herr? «
» Nein « , sagte Henri einfach und deutete mit einem Kopfnicken auf den Platz neben sich.
Sie setzte sich wieder. Das Bier begann, seinen bitteren Geschmack langsam zu verlieren. Sie war froh, dass noch so viel davon in dem Becher war.
» Ich halte dich jedenfalls nicht f ü r eine von denen. «
» So? « , meinte sie freudlos. » Wof ü r dann? «
» F ü r ein M ä dchen, das nicht aus London stammt. «
» Und ob ich das tue! «
Seine Augen sp ü rten die Wahrheit sofort in ihr auf. W ä hrend er weiter an seiner Pfeife sog, musterte er sie aus den Augenwinkeln – von den F üß en, ü ber den schlammbespritzten Rocksaum bis hin zu dem verrutschten Hut auf ihrem Kopf – und schien dadurch alles ü ber sie zu erfahren.
Als ob sie seinen Eindruck damit aufbessern k ö nnte, nahm sie hastig den Hut ab und legte ihn auf ihre Knie.
» Du bist heute mit der Kutsche aus irgendeinem Kaff hier angekommen. Es war noch nicht Mittag, als wir dich trafen, und die Kutschen fahren zeitig ab, also kommst du nicht von sonderlich weit her. «
» Ich komme aus St. Giles « , behauptete Frances stur. Das war nicht einmal gelogen. Immerhin hatte sie in diesem Viertel mehrere Jahre gelebt.
Henri l ä chelte. » Ich komme aus Lambeth . Aber das ist schon lange her. – St. Giles ist keine gute Gegend. Hast du etwa dort Quartier bezogen? «
F ü r Mutter und sie war die Gegend damals gut genug gewesen. Und hatten sie dort nicht auch ganz gut gelebt?
Ihr Gegen ü ber schien keine Antwort von ihr zu erwarten, aber er nahm einen tiefen Zug aus seinem Becher, bevor er weitersprach. » Lass dich auf nichts ein, wenn du nicht doch eine von denen werden willst. Ich habe schon viele M ä dchen gesehen, die mit einem Reisekorb in der Hand in der Stadt ankamen und sofort an die falschen Leute geraten sind. «
Sie musste an Madam Margret denken. » Das habe ich nicht vor. «
» Das sage ich ja nicht. Ich erz ä hle dir nur, was anderen passiert ist. In letzter Zeit h ö rt man viel dar ü ber, dass es unruhig in St. Giles geworden ist. Einige M ä dchen sind verschwunden, und zuletzt hat man eine mit aufgeschnittener Kehle und dem Kopf nach unten in einer Sickergrube gefunden. «
Das klang fast wie eine Drohung. Mittlerweile glaubte Frances, die F ä higkeit, einen Menschen beurteilen zu k ö nnen, verloren zu haben, als sie am Morgen in der N ä he des Strand aus der Kutsche gestiegen war. » Ich sollte jetzt wirklich gehen. «
Henri schnaubte belustigt und zog eine Uhr aus dem Taschenschlitz am Hosenbund. Dann lie ß er seinen Blick suchend durch den Schankraum schweifen und leerte schlie ß lich seinen Becher. » Ja, ich denke, das werde ich auch tun. – Trinkst du das noch? « Er sp ä hte in ihren Humpen.
Wortlos sch ü ttelte sie den Kopf. Ihr war ohnehin schon schwindlig. Sie stand auf und hoffte, er w ü rde eine Weile brauchen, um ihren Becher auszutrinken, und ihr damit einen Vorsprung verschaffen. Aber Henri st ü rzte das Bier hinunter und folgte ihr auf dem Fu ß , als sie sich anschickte, den Schankraum zu verlassen. Er ü berholte sie und ö ffnete ihr die T ü ren, die sie auf dem Weg ins Freie passieren mussten.
» Ich hoffe, du findest deinen Bruder noch. Gib
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