London Hades
vage Bilder sie wie Visionen plagten. Sie erinnerte sich an kleine Kinder, die in den R ü ckenkiepen wandelnder H ä ndler versteckt waren und nach teuren H ü ten Ausschau hielten, um diese zu stehlen. So etwas hatte sie fr ü her schon gesehen.
Erst als sich das Zwielicht fast vollst ä ndig zur ü ckgezogen hatte und es dunkel um sie geworden war, verlangsamte sie ihre Schritte. Die Ger ä uschkulisse der Theaterbesucher war l ä ngst hinter ihr geblieben. Sie konnte kaum mehr ihre eigenen Schuhspitzen erkennen, aber daf ü r h ö rte sie das Klacken ihrer Abs ä tze jetzt umso deutlicher. Es hallte, von dunklen H ä userw ä nden reflektiert, um sie herum, als wollte es sie einh ü llen und von der Welt abschneiden.
Nur Henris Schritte, die h ö rte sie nicht.
Warum nur war der Mann so schnell verschwunden? Frances’ leises Fluchen h ä tte Pastor Watts die Schamesr ö te ins Gesicht getrieben. Aber ihr Ungl ü ck war wirklich kaum noch zu ü berbieten, sie hatte jeden Grund zu fluchen. Das dachte sie jedenfalls, bis pl ö tzlich seltsame Ger ä usche an ihr Ohr drangen und sie vor einer alten Umfassungsmauer anlangte. Grabsteine reckten sich dahinter in der Dunkelheit wie neugierige K ö pfe ü ber die Mauer. Diesmal brauchte Frances ihren F üß en nicht befehlen, sich schneller zu bewegen. Sie taten es von ganz allein.
Zum Gl ü ck stellte sie sehr schnell fest, dass die Ger ä usche nicht von dem Friedhof kamen, sondern irgendwo vor ihr auf der Gasse entsprangen. Es waren die einzigen Ger ä usche, die sie h ö rte, und es war ihre einzige Hoffnung, dort auf Menschen zu treffen. Egal, wer es war, sie w ü rde ihn nach dem Weg fragen. Also nahm sie all ihren Mut zusammen und schob sich an den H ä usern entlang, Schritt f ü r Schritt weiter in das d ü stere Labyrinth hinein. Sie ertastete ihren Weg mehr, als dass sie ihn sah. Kein einziges Licht brannte hinter den Fenstern, deren Rahmen unter ihren Fingerkuppen vorbeihuschten.
Sie f ü hlte, dass der Weg einer Biegung folgte. Und pl ö tzlich war nicht nur Licht vor ihr, auch das dumpfe Rumoren klang um einiges lauter.
Als sie begriff, dass es von Schl ä gen herr ü hrte, die eine schattenhafte Gestalt vor ihr reichlich austeilte, war es schon zu sp ä t, um umzudrehen. Denn da erkannte sie, wen der Kerl bearbeitete. Ein zweiter Mann hielt eine Fackel dicht neben das Gesicht des Opfers, w ä hrend er dessen revoltierenden K ö rper mit der Rechten fest gegen eine Wand dr ü ckte. Das Licht wies den Schl ä gen seines Kumpans den Weg, es flackerte ü ber ein Gesicht, das Frances eben noch gehofft hatte, wiederzusehen: Henri!
» Unser Herr will seine Kohle « , h ö rte sie den Mann mit der Fackel knurren. » Du hast doch heute was verdient, he? R ü ck es raus. «
Das Feuer kam Henri so gef ä hrlich nahe, dass Frances glaubte, versengtes Haar zu riechen. Gro ß er Gott, was sollte sie tun? Wer einen Mann derart brutal verpr ü gelte, w ü rde zweifelsohne auch nicht vor einem M ä dchen Halt machen, das ihn aufzuhalten versuchte. Sie machte einen Schritt zur ü ck, presste sich atemlos gegen eine Wand, w ä hrend ihre Finger nach einem Spalt, einer L ü cke suchten, in die sie sich zw ä ngen konnte. Noch hatten die M ä nner sie nicht gesehen, vielleicht sollte sie einfach weglaufen … Aber das dort war Henri! Er war vorbehaltlos freundlich zu ihr gewesen, der erste Mensch, der heute nichts von ihr gewollt hatte. Sein ersticktes St ö hnen fra ß sich in ihre Ohren, und es machte eine Flucht unm ö glich.
Die dumpfen Ger ä usche raubten ihr fast den Verstand. Sie wusste, dass der Schl ä ger traf, jedes Mal. Ihr blieb nicht viel Zeit, aber sie hatte keine Ahnung, was sie tun sollte. Als ihre Finger einen Hauseingang ertasteten, beschloss sie, sich nur f ü r wenige Augenblicke dort hineinzudr ü cken, um nachzudenken und Atem zu holen. Doch als sie in den Eingang schl ü pfen wollte, verkeilte sich der rechte ihrer m ö rderischen Abs ä tze im Stra ß enpflaster und nahm ihr damit jede weitere Entscheidung ab. Wieder einmal an diesem Tag fiel sie! Ihre rudernden Arme suchten nach Halt, aber erst die Hauswand bremste ihren Fall.
Als sie hastig aufsah, ruckte gerade der Kopf des Schl ä gers zu ihr herum. Der Blick des Mannes fand sie und bohrte sich unerbittlich in ihre schreckensweiten Augen.
Jetzt galt es. Angreifen oder verlieren. Eine andere Wahl hatte sie nicht, denn ihr Schuh steckte immer noch fest. Und eine Londonerin w ü rde sich
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