London Hades
vorzufinden. Er ö ffnete die Fl ü gelt ü r ganz und half Henry dabei, Frances in den Salon zu schaffen.
Sie war vollkommen entkr ä ftet, ihr Kopf ruhte auf Henrys Schulter, ihre weiche Stirn an seinem Hals, und sie hielt die Augen halb geschlossen.
Henry hatte ganz vergessen, wo Nathans Onkel wohnte. Zur Panton Street war es ein netter Fu ß marsch, und Frances ’ Zustand war das nicht gerade zutr ä glich gewesen. Die Leute hatten sie angestarrt wie Unholde, weil Nathan die junge Frau den gr öß ten Teil des Weges auf den Armen getragen hatte. Sie hatten sich durch das pulsierende Gesch ä ftsleben von Charing Cross gek ä mpft, vorbei an den k ö niglichen Stallanlagen und hinunter zum St. James’s Park , wo die Flut der Einkaufswilligen auf die der eleganten Flaneure prallte, die zum Abend hin in Clubh ä user und Salons wanderten.
Von hier aus war es nicht weit in die Nachbarschaft der aristokratischen Residenzen, die sich um den k ö niglichen Palast und Pall Mall gruppierten. Trotz der Blicke, die sie auf sich zogen, und obwohl Henry selbst ziemlich m ü de war, hatte allein der Anblick dieser exklusiven Wohngegend ihn aufgemuntert. Fr ü her war er selbst oft in den Genuss ihrer Annehmlichkeiten gekommen. Hier konzentrierte sich ein Gro ß teil der eleganten Clubs, in denen ü ber einer Tasse Kaffee Politik gemacht oder – ganz nach gusto – ein Verm ö gen verspielt werden konnte. Wehm ü tig hatte er an die Abende in White’s Chocolate House gedacht, zu denen ihm das G ö nnertum Squire Ashes Zutritt verschafft hatte. Als er zum ersten Mal dort gewesen war, hatte er den ganzen Abend lang Schokolade getrunken, bis ihm schlecht wurde – und dass, ohne auch nur einen einzigen Gedanken an den Portwein zu verschwenden, dem er damals so zugetan war.
Der herbe Geschmack der Kakaobohnen lag ihm wieder auf der Zunge, als der Salon von Nathans Onkel sich in all seiner Pracht vor seinen Augen entfaltete. Sie brachten Frances zu einem eleganten Sofa hin ü ber, das Teil einer mit prachtvollem roten Gobelinstoff bezogen Sitzgruppe war.
» Ist das von diesem wunderbaren neuen Tischler, von dem alle Welt spricht? « , wollte Henry wissen, als er die junge Frau auf das Sitzm ö bel gleiten lie ß .
» Was wei ß ich …« Nathan hob ihre F üß e an.
» Er soll sich gerade f ü r ein Haus in der St. Martins Lane interessieren … Wie hie ß er doch gleich? – Willst du da nichts unterlegen? «
Blut und Schmutz hatten sich auf Frances ’ F üß en zu einer dicken, dunklen Kruste vermischt. Der Teufel wusste, wo sie sich herumgetrieben hatte und was mit ihren Schuhen passiert war. Ungeachtet dessen bettete Nathan beinahe f ü rsorglich ihre Beine auf den s ü ndhaft teuren Polsterstoff. » Hast du keine anderen Probleme? « , fragte er.
» Das muss ein Verm ö gen gekostet haben …« Henry trat ein St ü ck zur ü ck, um den gesamten Raum auf sich wirken zu lassen. Es war schon eine Weile her, dass er einen so perfekt eingerichteten Salon von innen gesehen hatte. Der Farbton der Sitzm ö bel fand sich nicht nur im rot-goldenen Seidenteppich, sondern auch in der kostbaren Tapete wieder, die mit einem Damastmuster und Medaillons mit Landschaftsbildern bedruckt war, als h ä tte sie ein K ü nstler stundenlang al fresco auf die W ä nde gebannt.
Die Decke und die Sockelzone der W ä nde waren mit demselben strahlend wei ß en Stuck dekoriert, der auch die Kamineinfassung bildete. Und w ä hrend andere Leute ihre Kaminsimse mit allerlei antiken Fundst ü cken, Porzellan oder glitzerndem Schnickschnack ü berfrachteten, hatte Nathans Onkel den Geschmack bewiesen, den seinen lediglich mit Kandelabern und einer passenden Silberpendule zu best ü cken.
» Ist die aus Frankreich? «
Nathan schenkte all dem keinen Blick. » Onkel William hat den ganzen Plunder gerade erst gekauft, weil das nach neuestem Geschmack ist. Und jetzt h ö re ich mir jeden Tag sein Wehklagen an: Der alte Salon w ä re viel sch ö ner gewesen, all das Nussbaumholz viel w ä rmer … Ach! « Er machte eine abwertende Handbewegung. Als er Henrys Bewunderung f ü r den Raum sah, verdrehte er die Augen und wandte sich wieder Frances zu. Er strich ihre aufgel ö sten Haare zur ü ck und t ä tschelte vorsichtig ihre Wange, um herauszufinden, ob sie bei Bewusstsein war.
» Sie haben sich ein bisschen ü bernommen, hm, Miss Watts? – Na, ein starker Mokka und eine warme Decke sollten das richten. Ich werde das M ä dchen rufen. «
Henry
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