London Killing - Harris, O: London Killing - Belsey Bottoms Out
Avenue Nummer 37.
Sie hatten um acht nach zehn in Devereux’ Haus angerufen. Der Anruf hatte einundvierzig Sekunden gedauert. War er zu der Zeit da gewesen?
Ihm dämmerte etwas.
Er rief im Les Ambassadeurs an. Eine Frau hob ab.
»Gestern bin ich aus Ihrem Restaurant angerufen worden, von einem Mann, der sich eine Reservierung auf den Namen Alexei Devereux bestätigen ließ.«
»Sind Sie sicher?«
»Die Stimme hörte sich französisch oder italienisch an.«
»Das ist sehr unwahrscheinlich, Sir.«
»Warum?«
»Das gehört nicht zu unseren Gepflogenheiten.«
»Was meinen Sie?«
»Der Tisch wird eine Stunde lang frei gehalten. Kommt der Gast doch noch, versuchen wir ihn woanders zu platzieren. Wir tätigen keine Erinnerungsanrufe.«
»Also hat gestern Abend niemand aus dem Casino angerufen?«
»Das bezweifle ich.«
Belsey legte auf. Er versuchte sich die Stimme in Erinnerung zu rufen, aber eine Stimme war kein Gesicht, geschwei ge denn ein Fingerabdruck. Anscheinend wollten sie ihm Angst einjagen, aber auch einen Hinweis geben. Sie wollten, dass er weiter nachforschte. Vielen Kriminellen gefiel die Aufmerksamkeit, die man ihnen entgegenbrachte, aber die hier waren anders. Sie wollten ihm etwas zeigen.
Belsey nahm sich die Post vor, die er sich in die Jackentasche gestopft hatte. Von den acht Briefen stammte einer von einem Hilfsfonds für psychisch Kranke, alle anderen waren Mahnungen. In unterschiedlichem Ton, höflich, devot oder ungehalten, wiesen die Absender – Carte Blanche International Yacht Charter, Sprint Gebäudereinigung, die Alan Christea Gallery in der Cork Street, die European Casino Association, Henry Poole Herrenschneider, Handford Weine in South Kensington – darauf hin, dass es an der Zeit sei, Kohle rauszurücken.
Der letzte Brief enthielt die Rechnung einer Speditionsfirma, Goldstar International, für einen am letzten Samstag, 7. Februar, erledigten Auftrag. Das war der Tag vor Devereux’ Tod gewesen. Die Rechnung belief sich auf zweihundertfünfundneunzig Pfund für eine Fuhre, die drei Lie ferwagen um 11 Uhr 40 vom Cavendish Square 33 in den Postbezirk EC2V gebracht hatten.
Belsey gab die Postleitzahl in den Computer ein. Die Lieferung war in die Guildhall gegangen.
Die Guildhall war früher das Rathaus der City gewesen und beherbergte jetzt ihre prächtigen Repräsentationsräume. Die Wurzeln des im fünfzehnten Jahrhundert errichteten Gebäudekomplexes reichten über das Mittelalter bis in die römische Zeit Londons zurück. Die Verwaltung der City befand sich heute in einem modernen Gebäude im nördlichen Teil, der opulente Festsaal konnte für offizielle Anlässe gemietet werden. Was hatte Devereux gemacht?
Vielleicht hätte er mit der Abholadresse mehr Glück, dachte Belsey, aber auch mit der konnte er nichts anfangen. Cavendish Square 33 war ein riesiges Hochhaus hinter der Re gent Street mit Büros für siebenundzwanzig verschiedene Firmen: von Dental Protection Limited, Coller Capital, Esselco Services und Sovereign Chemicals bis Star Capital Partners, Advisa Solicitors, Lasalle Investment Management, MWB Business Exchange, TOTAL Holdings UK Ltd. und Coal Pension Properties Ltd.
Die grauen Firmennamen verschwammen vor seinen Augen. Auf der Rechnung stand nur die Adresse, er hatte keinen Anhaltspunkt, an dem er ansetzen konnte. Keiner der Namen kam ihm von den Papieren, die er in Devereux’ Büro oder Haus gefunden hatte, bekannt vor.
Belsey rief die Spedition an.
»Goldstar.«
»Hi. Ich habe gerade eine Rechnung von Ihnen bekommen, aber in unseren Unterlagen kann ich nichts über den Auftrag finden.«
Der Mann stöhnte.
»Haben Sie die Rechnungsnummer?«
Belsey gab sie ihm durch.
»Richtig«, sagte der Mann. »Ich kann mich an die Fuhre erinnern.«
»Worum ging’s da?«
»Sehr große Kisten, zerbrechlicher Inhalt. Keine Ahnung, was da drin war.«
»Wie hieß die Firma, von der sie die abgeholt haben?«
»Wenn es nicht auf der Rechnung steht, weiß ich es auch nicht.«
»Können Sie sich noch erinnern, was für eine Veranstaltung das war?«
»Veranstaltung? Wir haben das Zeug bloß geliefert …«
»Wie viele Kisten waren das?«
»Hab sie nicht gezählt. Sie haben doch so ein Geheimnis drum gemacht.«
»Kann ich mit einem von den Fahrern sprechen? Vielleicht wissen die ja was.«
»Die sind unterwegs. Wir haben unsern Job jedenfalls erledigt. Vielleicht haben Sie die ganze Geschichte deshalb vergessen, weil sie so verflucht heikel war.«
Belsey
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