London NW: Roman (German Edition)
mir helfen: Was soll ich bloß damit anfangen?
Nat fasst Naomi mit beiden Händen ins Haar und demonstriert die Knoten darin, indem sie vergeblich mit den Fingern durch die Nester fährt, während das Kind unter ihren Händen zappelt.
– Sie lässt mich einfach nicht an sich ran, also sollte ich sie vielleicht von dir rasieren lassen, oder? Sie könnte morgen zu dir in den Salon kommen, dann wird alles abrasiert.
Naomi kreischt auf. Michel beantwortet die Frage freundlich, taktvoll, aufrichtig. Er rät von drastischen Maßnahmen ab, empfiehlt Pflegespülungen und Kokosöl. Auch nach so vielen Jahren im Land kommt ihm die englische Vorliebe, Kinder mit Ironie zu quälen, noch seltsam vor. Nat behält ihr strahlendes Lächeln fest im Gesicht.
– Schon gut, schon gut, Naomi. NAOMI ! Mum hat doch nur Spaß gemacht ... Keiner wird dir ... Ja, stimmt, über Nacht Zöpfe flechten, das müsste helfen, vielen Dank, Michel ...
Frank sagt:
– An meiner Schule gab es nie so was wie Ferien. Meine Mutter hat mich immer erst an Weihnachten wieder zu sehen gekriegt.
Seine Frau lächelt traurig und gibt ihm einen Kuss auf die Wange.
– Oh, ich bin sicher, die gab es. Aber wie ich deine Mutter kenne, hat sie dich einfach nie abgeholt.
Nicht witzig, sagt Frank. Ziemlich witzig, sagt Natalie. Leah sieht zu, wie Nat die Gänseblümchenkette übernimmt, die Naomi angefangen hat. Den Stängel mit dem Daumennagel spalten, das nächste Gänseblümchen durchfädeln.
– Ich werde meine Kinder bestimmt nicht aufs Internat schicken. Ganz allein in einer Klasse mit dreißig weißen Kindern. Da muss man ja durchdrehen.
– Unsere Kinder. Und zwanzig weiße. Mir hat’s nicht geschadet.
– Du trägst Slipper, Frank.
Nicht witzig, sagt Frank. Ziemlich witzig, sagt Natalie. Manchmal versucht Leah, zwischen den beiden etwas Krankhaftes zu entdecken – etwas Faulendes, Infektiöses –, doch die Patienten springen eisern immer wieder vom Krankenbett auf und frotzeln sich an. Küssen sich gegenseitig auf die Wange.
– Du machst sie putt!
Leah schaut auf die Gänseblümchenkette. Naomi hat recht: Nat hat sie putt gemacht. Und Spike bringt die Sache zu Ende, indem er sich die Kette schnappt und ihre Einzelteile wieder auf dem Rasen verstreut. Schon geht das Geschrei los. Leah setzt das milde Lächeln eines kinderlieben Menschen auf. Frank erhebt sich und klemmt sich unter jeden Arm ein strampelndes Kind.
– Sie kommen demnächst auf die Klosterschule, damit sie für unsere Sünden büßen.
Franks Standardverhalten Leah gegenüber besteht in einer Art Selbstparodie. Leah macht ihm einen Strich durch die Rechnung, indem sie die Ahnungslose spielt, ihn zwingt, klar zu sagen, was er indirekt andeuten will.
– Auf die Klosterschule? Jetzt schon?
Natalie sagt:
– Das ist alles ein Witz: Die Schule ist kostenlos, aber anscheinend müssen wir jetzt schon anfangen, in die Kirche zu gehen. Vorab investieren. Sonst werden sie nicht aufgenommen. Ich hoffe, wir finden irgendwo was halbwegs Entspanntes. Wo geht denn Pauline immer hin?
– Mum? Die geht höchstens einmal im Monat. St. Sonstwas, sagt mir gar nichts. Wenn du willst, frage ich sie.
Frank lässt seine Kinder wieder frei und seufzt.
– Seid ihr nicht auch langsam dran?
Das übernimmt Michel. Sein Thema, seine Welt. Es folgt ein Gespräch über das Innenleben von Leahs Körper und wie viel mehr dort in den letzten Jahren los gewesen wäre, wenn bloß mal jemand auf Michel gehört hätte. Leah konzentriert sich auf Natalie. Körperlich ist sie hier, aber wo sind ihre Gedanken? Bei der Arbeit? Bei irgendeiner großartigen außerehelichen Leidenschaft? Oder wünscht sie sich einfach nur, dass diese Leute endlich gehen, damit sie ihr wahres Leben, das Familienleben, wiederaufnehmen kann?
– Verflixt! Das Bananenbrot! Das habe ich ja ganz vergessen. Komm, Naomi, hilf mir beim Servieren.
Leah sieht zu, wie Natalie mit langen Schritten in ihrer bildschönen Küche verschwindet, gefolgt von ihrem bildschönen Kind. Hinter diesen Terrassentüren ist alles erfüllt und voller Bedeutung. Die Gesten, die Blicke, die unhörbaren Gespräche. Wie wird man nur so erfüllt? So erfüllt von lauter Dingen voller Bedeutung? Alles andere hat Nat irgendwie abgestreift. Sie ist erwachsen.
Wie macht man das?
– Und ... Michel. Wie läuft’s denn sonst so, Mann? Bring mich mal auf den neuesten Stand. Was macht die Haarbranche? Wollen die Leute noch ... bei der schlechten
Weitere Kostenlose Bücher