London NW: Roman (German Edition)
herein.
– ist nur wieder so ein typisch reißerischer Bericht. Die wollen einfach, dass es ...
– Kann ich das bitte hören?
Der Fernseher sagt:
– Der junge Mann, der von Zeugen als Felix Cooper identifiziert wurde, war zweiunddreißig Jahre alt. Aufgewachsen ist er in der berühmt-berüchtigten Projektsiedlung Garvey House, zog dann aber mit seiner Familie in eine vergleichsweise ruhige Ecke von Kilburn, um ein besseres Leben zu finden. Und ausgerechnet hier, in Kilburn, wurde er nun am frühen Samstagabend, nur wenige Meter vor der eigenen Haustür, von zwei jungen Schwarzen angegriffen. Wir wissen nicht, ob das Opfer mit ihnen ...
– Er wurde umgebracht! Wen interessiert, wo er aufgewachsen ist?
Ich lege jetzt Musik auf, sagt ein Italiener und schaltet den Fernseher aus. Wir müssen umziehen, sagt Michel. Ich will nicht umziehen, das ist mein Zuhause, sagt Leah. Sie lässt sich auf den Hals küssen. Kein Streit, sagt Michel, in Ordnung? Lass uns einfach mal Spaß haben. Ich streite ja gar nicht, sagt Leah. Gut, aber du bist naiv.
Schlecht gelaunt trennen sie sich. Leah geht eine Etage höher, auf die Terrasse. Michel kehrt in die Küche zurück. Die Wohnung füllt sich jetzt rasch. Ständig geht die Klingel. Es wäre einfacher, die Tür gleich offen zu lassen, aber der Gastgeber legt Wert darauf, jeden Gast erst durch die Türspionkamera zu mustern, ehe er eingelassen wird. Menschen strömen auf die Party wie Soldaten zur Triage. Da draußen ist die Hölle los! Ich dachte schon, wir schaffen es nicht hierher. Alle stellen sich abwechselnd auf die weißen Stuckbalkone, tanzen und pfeifen mit ihren in Rasta-Farben bemalten Trillerpfeifen dem Karnevalsgedränge weit unter ihnen hinterher. Schon bald ist Leah betrunken. Sie hat zu früh angefangen. Sie kann Michel nicht finden. Aber sie entdeckt Frank, er ist in diesem Umfeld leicht auszumachen. Sie stellen sich in die Diele. Sowohl drinnen als auch draußen ist die Musik so laut, dass der Informationsaustausch auf ein Minimum beschränkt bleibt. Nat kommt später. Sie fährt mit den Kindern auf einem Wagen von Marcias Gemeinde mit. Willst du ein Würstchen?
– Und, was ist das Geheimnis?
– Wie bitte?
– EURES GLÜCKS, FRANCESCO .
– ICH HÖR DICH SO SCHLECHT. BIST DU BETRUNKEN ?
Sie gehen in die Küche, wo der Bass sie nicht finden kann. Sie wiederholt ihre Frage. Wir erzählen uns alles, sagt er. Willst du Punsch?
Die Küche ist gerammelt voll. Sie braucht Wasser. Kämpft sich zum Wasserhahn durch. Saubere Tasse, Glas, Becher? Kippen und Essen im Abfluss. Die Zeit ist derweil nicht stehen geblieben. Frank ist weg. Michel ist weg. Was sind das alles für Leute? Warum erzählen sie sich ständig, was sie für einen Heidenspaß haben? Man muss nicht vor den Klos anstehen, hat keinen Straßendreck zwischen den Zehen, muss keine sechs Pfund für eine Dose Red Stripe blechen. Seht ihr! Ich sag’s doch schon seit Jahren! Der perfekte Ort. Von hier sieht man alles. Und plötzlich ist da Nat, steht allein auf dem Balkon und schaut hinunter. Sie dreht sich um. Frank steht in der Tür. Leah ist irgendwo zwischen den beiden, in der Menge verborgen. Sie sieht, wie der Mann seine Frau mustert und die Frau ihren Mann. Sie sieht kein Lächeln, kein Nicken, kein Winken, kein Erkennen, keine Verständigung, kein gar nichts. Schüsseln mit Wegwerfkameras in fröhlichen Farben werden verteilt. Der Gastgeber fordert die Gäste auf, den Anlass festzuhalten. Alle setzen sich abwechselnd die Dreadlock-Perücke auf. Leah überrascht sich selbst: Sie hat tatsächlich richtig Spaß.
37
– Was soll das heißen, sie sind nicht da? Ich habe die Kamera vor zwei Stunden abgegeben. Das ist ein Ein-Stunden-Dienst.
– Es tut mir leid, Madam. Ich finde nichts unter dem Namen.
– Hanwell, Leah. Schauen Sie doch bitte noch mal nach.
Leah legt beide Hände auf die Drogerietheke.
– Sind Sie sicher, dass das heute war?
– Das verstehe ich nicht. Soll das heißen, Sie haben sie verschlampt? Ich war vor zwei Stunden hier. Heute. Montag. Ein Mann hat mich bedient.
– Ich habe den Namen, den Sie mir geben, hier nicht verzeichnet. Ich bin eben erst gekommen, Madam. Wissen Sie noch, wer Sie bedient hat? War es ein junger Mann oder ein älterer Herr?
– Ich weiß nicht mehr, wer mich bedient hat. Aber ich weiß, dass ich hier war.
– Madam, an der Station ist noch eine weitere Drogerie, sind Sie sicher, dass es nicht die war?
– Ja, da bin ich sicher. Hanwell, Leah.
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