London NW: Roman (German Edition)
Zwangsläufig. Ich kenn Jasmine, seit wir sechzehn sind, und sie war schon immer so. Hat Depressionen, geht tagelang nicht aus der Wohnung, räumt nicht mehr auf, die Bude sieht aus wie ’n Schweinestall und so. Sie hat’s schwer gehabt. Aber egal.«
»Ja, das muss schwer sein«, sagte Tom leise und trank einen großen Schluck Bier.
Dann saßen sie da und schwiegen und sahen beide zur Straße, als säßen sie nur zufällig am selben Tisch.
»Felix, kannst du mir vielleicht auch eine drehen? Ich bin da ganz schlecht drin.«
Felix zündete sich die Zigarette an, nickte und machte sich schweigend daran, eine weitere zu drehen. In der Tasche vibrierte sein Handy. Er las die Nachricht und hielt Tom erneut das Gerät vors Gesicht.
»Ey, Tom, du bist doch in der Werbung – was hältst du davon?«
Tom, der weitsichtig war, rückte ein Stück vom Display ab, um es lesen zu können: »Sie haben für Ihren Unfall noch keine Entschädigung beansprucht. Ihnen stehen bis zu 3650 £ zu. Um Ihren Anspruch einzulösen, antworten Sie › BEANSPRUCHEN ‹. Um ihn zu verwerfen, antworten Sie › STOPP ‹.«
»Ist doch ’n Trick, oder?«
»Na, allerdings, würde ich sagen.«
»Woher wollen die denn wissen, ob ich ’nen Unfall hatte? Hochgefährlich, so was. Stell dir mal vor, du bist alt oder krank und kriegst das.«
»Ja«, sagte Tom etwas ratlos. »Ich glaube, die haben so ... Datenbanken.«
»Datenbanken«, wiederholte Felix und schüttelte entgeistert den Kopf. »Und dann antwortet man und hat gleich fünf Pfund auf der Rechnung. Aber so sind die Leute heutzutage. Allen geht es nur um sich selbst. Meine Freundin hat mir so ’n Buch geschenkt, Die 10 Geheimnisse des Erfolgs . Hast du das gelesen?«
»Nein.«
»Solltest du aber. Sie so zu mir: ›Fee, weißt du, wer dieses Buch alles liest? Bill Gates. Die Mafia. Die Königsfamilie. Alle Banker. Tupac hat’s gelesen. Und die Juden lesen es auch. Tu mal was für deine Bildung.‹ Sie ist richtig schlau. Ich les ja kaum mal was, aber das hat mir echt die Augen geöffnet. Hier.«
Tom nahm die Zigarette, zündete sie an und zog daran mit der tiefen Erleichterung eines Menschen, der erst vor wenigen Stunden komplett das Rauchen aufgegeben hat.
»Hör mal ... Felix, das hört sich jetzt vielleicht ein bisschen komisch an«, sagte er, deutete mit dem Kopf auf den Amber-Leaf-Tabak, der zwischen ihnen lag, und senkte die Stimme, »aber du hast nicht zufällig noch was Stärkeres? Ich will gar nichts kaufen, nur ein paar Krümel. Das entspannt mich immer so.«
Felix seufzte, lehnte sich auf der Bank zurück und murmelte vor sich hin. Gott gebe mir die Gelassenheit, die Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, die Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.
»Ach herrje«, sagte Tom. Er duckte sich peinlich berührt nach rechts, legte dann eine Art körperlichen Rückwärtsgang ein und duckte sich peinlich berührt nach links. »Ich wollte nicht ...«
»Schon gut. Meine Freundin meint immer, ich hätte ’n unsichtbares Tattoo auf der Stirn: BITTE FRAGEN SIE MICH NACH DOPE . Wahrscheinlich hab ich einfach so ’n Gesicht.«
Tom hob sein Glas und trank es leer. Hieß das nun, dass es Dope gab oder nicht? Er musterte den verzerrten Felix durch den Boden des Pintglases.
»Hört sich an, als wär sie ganz vernünftig«, sagte er schließlich.
»Wie war das?«
»Die Freundin, von der du da sprichst, deine Freundin.«
Felix strahlte übers ganze Gesicht. »Ach, Grace. Ja. Das ist sie allerdings. Ich sag dir was, Tom, ich war noch nie im Leben so glücklich. Sie hat mein Leben verändert. Sag ich ihr auch ständig: Du bist meine Lebensretterin. Genau das ist sie.«
Tom hielt sein klingelndes Handy in die Höhe und musterte es mit bösem Blick.
»Ich hingegen habe offenbar eine Lebenszerstörerin am Hals.«
»Das schafft keine, Tom. Das kannst nur du.«
Felix meinte es ehrlich, doch er sah, dass er bei Tom ein Grinsen hervorrief, was wiederum in ihm das Bedürfnis weckte, seinen Standpunkt noch vehementer zu vertreten: »Hör mal, die Frau hat meine Einstellung total verändert. Global. Die erkennt mein Potenzial. Und unterm Strich muss man einfach nur das beste Ich sein, das man sein kann. Dann kommt alles andere von allein. Ich hab’s selber durchgemacht, Tom. Ich weiß also, wovon ich rede. Deine Persönlichkeit bleibt in Ewigkeit. Denk mal drüber nach.«
Wie nahezu überflüssig seine Arbeit
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