London NW: Roman (German Edition)
Die Zwillinge hatten beide einen Horror vor Gebrauchtwaren. Genau wie Grace. Ihr würde er erst davon erzählen, wenn der Wagen aussah wie frisch vom Fertigungsband gerollt. Devon war der Einzige, der sich vielleicht dafür interessiert hätte, aber ihn konnte man nicht anrufen, man musste warten, bis er anrief.
In Felix’ Tasche spielte ein digitales Orchester die Klassikmelodie aus einer Rasierwasserwerbung seiner Kindheit. Er meldete sich fröhlich, doch seine Liebste klang gestresst und sparte sich die Begrüßung. »Warst du bei Ricky?« »Nee, sorry – hab ich vergessen. Ich ruf ihn an.« »Wie willst du ihn denn anrufen? Ich hab seine Nummer nicht – du?« »Ich geh auf dem Heimweg vorbei.« »Die von unten haben angerufen. Es tropft jetzt schon durch die Decke.« »Entspann dich, ich sag ihm ja Bescheid.« »Wo bist du?« »Bei Dad.« »Hast du’s ihm gezeigt? Was hat er gemeint? Sag ihm, ich kann im Internet noch mehr davon bestellen. Oder lass mich kurz selbst mit ihm reden.« »Klar, Mann. Er schaut sich’s an. Fährt voll drauf ab. Hat jede Menge Geschichten erzählt – du kennst ihn ja. Von wegen in Erinnerungen schwelgen. Hör mal, ich muss Schluss machen.« »Gib mir Lloyd doch mal ...« Auf der Straße fuhr ein Krankenwagen an Felix vorbei. »Ich bin auf dem Balkon – er ist grad im Bad. Pass auf, ich ruf dich nachher wieder an. Ich muss jetzt Schluss machen.« »Dann mach halt Schluss! Ich muss eh arbeiten.« »Allerdings!« Das Gespräch schlug in Liebesgesäusel um und wurde dann kurzfristig deftig.
Grace bekundete gern, wie »verdorben« sie sei, obwohl sie im Bett eher zahm war, fast schon prüde, und es Felix in ihren sechs gemeinsamen Monaten noch nicht recht gelungen war, die Frau am Telefon mit der in seinen Armen in Einklang zu bringen. »Ich lieb dich, Baby«, sagte sie, und Felix erwiderte mit Leidenschaft dasselbe und versuchte, in die optimistische Stimmung, kurz bevor er ans Telefon gegangen war, zurückzufinden. Im Hintergrund sagte ihr Chef etwas von einer Reservierung für zwölf um zwei – schon war sie wieder weg, ohne sich zu verabschieden. Wie ein Geist, der einem auf der Schulter landet und gleich wieder verschwindet: das alltägliche Wunder. Er konnte sich noch erinnern, als man Wählscheiben mit dem Finger drehte. Manchmal kreuzten sich Leitungen, dann redeten vier Geister durcheinander. Und heute unterhielt sich Felix junior mit seinen Cousinen per Video. Wenn man nur lang genug wartete, wurden die Filme Wirklichkeit – und alle taten, als wäre nichts dabei. Trotzdem war er froh, die Zukunft noch zu erleben. Stand schließlich eine Zeit lang ziemlich auf Messers Schneide. Als Comic-Leser und Sci-Fi-Fan war Felix immer klar gewesen, dass die Zukunft ihm zusagen würde. Hollywood konnte ihm nicht das Wasser reichen, wenn es darum ging, sich die Zukunft auszumalen. Er musste nicht mal mehr ins Kino, er konnte einfach draußen rumlaufen, so wie jetzt, und das ganze Spektakel lief in seinem Kopf ab. Drehbuch: Felix Cooper. Regie: Felix Cooper. Hauptdarsteller: Felix Cooper.
Anflex, Liebster, wie kommst du denn nach Hause?
Per Teilchentransfer. Bis in einer Sekunde, geliebte Gracian. Einer Nanosekunde.
Solches Zeug. Kam ihm einfach so in den Kopf. Manchmal erzählte er Grace einen ganzen Film nur mit Worten, darauf fuhr sie total ab, und nicht nur, weil sie ihn liebte: Tatsache war, die Filme in Felix’ Kopf waren einfach besser als alles, wofür die Leute gutes Geld zahlten, um es sich anzusehen. Jetzt stieß Felix mit einem ganz realen jungen Mann zusammen, der aus einer rundum verglasten Videospielhalle kam, rückwärts durch die Doppeltüren ging und seinen Freunden zuwinkte, die drinnen noch mit ihren Joysticks zugange waren. Felix fasste den Mann sanft am Ellbogen, und der Fremde griff genauso sorgsam nach hinten und umfasste Felix, wo dessen Taille an seinen Rücken stieß; sie lachten beide leise und entschuldigten sich und nannten sich gegenseitig »Chef«, um sich dann rasch wieder zu trennen und weiterzugehen, der Fremde zurück Richtung Erosbrunnen und Felix weiter nach Soho.
In ihrer Straße griff er in die Tasche, zog das Handy hervor und tippte: Bin in deiner Straße. Hast du Zeit? Sofort kam die Antwort: Tür ist offen. Seit drei Monaten war er nicht mehr in dieser Straße gewesen. Das Handy vibrierte wieder: Gib mir 5 Min. Hol doch so lange Ziggis. Dieser Nachklapp ärgerte ihn: Das brachte ihn wieder in die ganz falsche Position. Er ging
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