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London NW: Roman (German Edition)

London NW: Roman (German Edition)

Titel: London NW: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zadie Smith
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eigenen Füßen zu stehen. Das hatte er natürlich nicht gesagt. Gesagt hatte er: »Mutter, deine Weisheit übertrifft jegliches Wissen der Erde.« Worauf sie meinte: »Werd jetzt nicht spitzfindig. Und mach keine Dummheiten!« Aber er machte ja Dummheiten. Mit dieser Frau. Das war alles eine fürchterliche Dummheit.
    »Einen vernünftigen Preis«, wiederholte Tom und fasste sich an den Kopf, als wären diese seltsamen Gedanken nur synaptische Fehlzündungen, und ein Schlag gegen die Schläfe könnte sie wieder zum Schweigen bringen.
    »Du hast nämlich echt schräge Geldvorstellungen«, sagte Felix und packte seinen Tabak, seine Blättchen und sein Handy zusammen, mit einer Miene, die für Tom ganz klar von Enttäuschung sprach, nicht nur über das gescheiterte Geschäft, sondern auch über Tom.
    »Aber du kannst doch nicht im Ernst verlangen, dass ich ihn dir für unter sechshundert gebe!«
    Auf der Hälfte des Satzes bemerkte Tom den seltsamen, unpassend flehentlichen Ton in seiner eigenen Stimme.
    »Vierhundert wär eher denkbar, bruv. Meine Jungs schleppen ihn ab. Das ist ’ne Menge! Beim Verschrotten kriegst du nicht so viel. Wahrscheinlich musst du das allein schon fürs Abschleppen blechen.«
    Diese Dreistigkeit brachte Tom zum Lächeln. »Im Ernst? Ach, komm. Reden wir mal ernsthaft.«
    Felix wahrte sein Pokerface. Immer noch lächelnd, stützte Tom das Kinn in die Hand und »dachte nach«, wie die Karikatur eines »Nachdenklichen«.
    »Fünfhundert? Dann kommen wir beide endlich heim. Weiter kann ich wirklich nicht runtergehen. Ist immerhin eine MG !«
    »Vierhundertfünfzig. Höher geh ich nicht.«
    Toms Handy meldete sich wieder. Er machte ein unentschlossenes Gesicht: Er erinnerte Felix an die Schauspieler, wenn sie nach der Nachmittagsvorstellung hinter der Bühne herumlungerten und die Abendvorstellung noch vor sich hatten. Nicht mehr ganz in der Rolle, aber auch noch nicht ganz draußen.
    »Lebenszerstörerin auf der Eins. Du bist ein harter Brocken, Felix. Ich seh schon, mit Felix ist nicht zu spaßen.«
    Felix zog die knittrigen Scheine hervor und zählte sie bedächtig zu einem ordentlichen Stapel ab.
     
    Hat dir die Werkstatt also ’ne MG geliehen .
    Nee, dred. Hab ich gekauft.
    Ach was. Dir scheint’s ja gut zu gehen.
    War nicht teuer. Ich hab ’n bisschen was gespart. Ich richte ihn her als Geschenk für Grace Privatprojekt. Ein Projekt-Wagen. Weißt du, warum du den eigentlich gekauft hast, hm? Weißt du’s? Weißt du nicht, was? Willst du’s wissen? Ich werd dir jetzt mal ein bisschen Weisheit verkünden, blud, pass gut auf. Du denkst, du weißt, warum, dabei weißt du gar nichts ...
    Felix hörte es so deutlich wie jedes tatsächliche Gespräch mit seinem Vater: Es schien sich auf derselben Realitätsebene abzuspielen. In etwa so, wie man einen Zug schon ganz früh kommen sieht, weit hinten auf den Gleisen. Die Jungs von der Werkstatt sollten den Wagen nachher holen und ihn auf dem Anwohnerparkplatz von Caldwell abstellen. Dazu mussten sie seinen Vater nach dem Parkschein fragen. Und gleich danach hätte er seinen Vater an der Strippe. Diese Aussicht nahm dem Triumphgefühl, das einen solchen Kauf begleiten sollte, etwas von seinem Glanz. Je weiter er die Regent Street entlangging, desto schlimmer wurde es.
    Ich sag dir was, Felix: Frauen kannst du nicht kaufen. Du kannst dir ihre Liebe nicht erkaufen. So verlässt sie dich garantiert. Die Liebe verlässt dich eh irgendwann, du kannst dir die ganzen Autos und die ganzen Klunker also sparen. Im Ernst.
    Felix passierte den Valentinsknaben mit dem in die Luft gereckten Bein und dem angelegten Pfeil. Wer würde sich für ihn freuen? Sein Daumen verharrte auf dem Trackball seines Handys und wechselte zwischen den Nummern seiner Geschwister hin und her, doch mit allen waren potenzielle Kopfschmerzen verbunden, die ihn zögern und das Handy schließlich wieder einstecken ließen. Tia war sicher mit ihren Kindern beschäftigt, und ihre Einsamkeit und Langeweile konnten leicht in Neid umschlagen, selbst wenn es um etwas ging, das sie gar nicht interessierte, wie ein Auto. Ruby würde nur wissen wollen, was sie von dem Wagen hatte – wann sie ihn sich ausleihen, wohin sie damit fahren konnte. Sie bewohnte das Gästezimmer ihrer Zwillingsschwester, hatte nichts und niemanden und ertrank in Selbstmitleid. Überall erwartete sie Almosen, wollte aber gleichzeitig von allem nur das Beste. Wozu kaufst du dir denn so ’ne Schrottmühle? Schwachkopf.

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