London NW: Roman (German Edition)
selbst nicht runter, das kann ich gar nicht. Sie sollten doch wohl eher mit den Damen von unten reden, bei denen, wie wir beide wissen – Sie sind ja schließlich auch ein Mann von Welt, nicht wahr –, ununterbrochen Leute ein und aus gehen. Ein und aus, ein und aus. Als wären wir hier auf dem Piccadilly Circus.«
Sie machte einen Schritt nach vorn, um mit dem Finger dieses allgemeine Durchgangsrecht zu demonstrieren, und Felix erhaschte einen Blick auf den Mann vor der Tür: ein breiter blonder Muckibudenjünger im dunkelblauen Anzug, mit einem Ringbuch in der Hand, auf dem »Google« stand.
»Miss Bedford, bitte, ich mache hier nur meine Arbeit.«
»Verzeihung – wie war noch gleich Ihr Name? Kann ich vielleicht etwas Offizielles ...?«
Der Blonde gab Annie seine Karte.
»Haben Sie etwa Anweisung, herzukommen und mich zu belästigen? Ja? Das glaube ich nämlich nicht, Mr ... den Namen kann ich unmöglich aussprechen ... also, Erik, das glaube ich nämlich nicht. Ich bin Mr Barrett gegenüber nicht auskunftspflichtig. Ich gebe nur dem eigentlichen Hausherrn Auskunft – mit dem eigentlichen Hausherrn, im Sinne von Herr des Hauses, bin ich nämlich verwandt. Er ist ein naher Angehöriger, und ich bin mir sicher, er würde es gar nicht gerne sehen, dass man mich hier belästigt.«
Erik schlug sein Ringbuch auf und schloss es dann wieder. »Wir sind nur das Subunternehmen, und wir sind angewiesen, alle Mieter darüber in Kenntnis zu setzen, dass der Gemeinschaftsbereich renoviert und die Kosten anteilig auf die Wohneinheiten umgelegt werden. Wir haben bereits mehrere Schreiben an diese Adresse verschickt, aber keine Antwort bekommen.«
»Sie haben ja wirklich einen lustigen Akzent. Sind Sie Schwede?«
Erik stand förmlich stramm. »Ich bin Norweger.«
»Ach, Norweger! Norwegen. Wie schön. Ich war natürlich noch nie dort – ich fahre ja nirgendwo hin. Felix«, sagte sie, drehte sich um und lehnte sich dabei lasziv an den Türrahmen. »Erik ist Norweger.«
»So«, sagte Felix. Er ahmte die ruckartigen Mahlbewegungen ihres Kiefers nach. Sie streckte ihm die Zunge heraus.
»Ach, Erik, war das nicht Schweden, wo es in letzter Zeit so viele Probleme gab?«
»Wie bitte?«
»Norwegen, meine ich. Sie wissen schon, mit dem Geld. Schwer vorstellbar, dass ein ganzes Land einfach so bankrott gehen kann. Meiner Tante Helen ist das auch passiert, aber sie hatte sich das im Grunde selbst zuzuschreiben. Aber ein ganzes Land, das scheint mir doch ein wenig ... fahrlässig.«
»Ich glaube, Sie meinen Island.«
»Ach? Ja, das kann gut sein. Das mit dem Norden gerät mir immer so ...« Annie knotete die Finger ineinander.
»Miss Bedford ...«
»Hören Sie, es ist doch so, niemand wünscht sich mehr als ich, dass dieses Haus ein wenig aufgemotzt wird – wir hatten hier schließlich kein Filmteam mehr seit ... wie lange das jetzt auch immer her sein mag, und dieses Dach schreit doch förmlich danach, dass man dort dreht, es schreit danach, es ist ein Unding, das einfach brachliegen zu lassen. Beinahe der beste Blick in ganz London. Ich glaube, es käme Ihnen sehr zugute, das Haus für Investoren von außen interessanter zu machen. Was Investoren von außen betrifft, waren Sie wirklich ausgesprochen nachlässig.«
Erik duckte sich ein wenig in seinen billigen Anzug. Was für Blödsinn sie auch daherredete, ihr Upper-Class-Akzent wirkte wie ein Zauberspruch. Felix hatte schon erlebt, wie sie sich damit aus den verfahrensten Zwangslagen gemogelt hatte, selbst als die Leute vom Sozialamt vor der Tür standen, selbst als die Polizei unten im Bordell eine Razzia veranstaltete und ein ansehnlicher Beutel Heroin eben so außer Sichtweite auf ihrem Nachttisch lag. Sie fiel und fiel und fiel und schlug doch nie unten auf. Ihrem Großonkel, dem Earl, gehörte der Boden unter diesem Gebäude, der Boden unter sämtlichen Gebäuden der Straße: dem Theater, den Cafés und dem McDonald’s.
»Allein die Vorstellung, dass eine hilflose Frau, die alleine lebt und ihre Wohnung praktisch nie verlässt, genauso viel zahlen soll wie eine Gruppe sogenannter ›Geschäftsfrauen‹, die etwa alle acht Minuten neuen Männerbesuch empfangen – das ist doch unerhört! Traps-traps-traps«, rief sie und stampfte den Rhythmus auf die Türschwelle, »das nutzt den elenden Teppich so ab. Traps-traps-traps. Herrenbesuch auf der Treppe.« Erik sah in leiser Verzweiflung zu Felix hinüber. »Das«, erklärte Annie mit ausgestrecktem Finger, »ist
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