London NW: Roman (German Edition)
kein Herrenbesuch. Das ist mein Freund. Er heißt Felix Cooper. Er macht Filme. Und nein, er wohnt nicht hier. Er wohnt in Nordwest-London, in einem süßen, kleinen Eck namens Willesden, von dem Sie vermutlich noch nie etwas gehört haben, aber ich sage Ihnen gleich, wenn Sie das jetzt einfach abtun, dann liegen Sie einfach gewaltig falsch, es ist nämlich äußerst interessant, äußerst ›vielfältig‹. Mein Gott, was für ein Wort! Und Tatsache ist, wir sind zwei äußerst unabhängige Menschen mit höchst unterschiedlichen Lebensumständen, und uns liegt eben daran, uns diese Unabhängigkeit auch zu bewahren. Es ist ja schließlich nicht weiter ungewöhnlich, wenn man ...«
An diesem Punkt griff Felix ein, fasste Annie um die Taille und zog sie ins Zimmer zurück. Aufseufzend sank sie auf die Chaiselongue und widmete ihre ganze Aufmerksamkeit Karenin, der das seinerseits offensichtlich nur angemessen fand. Erik schlug sein Ringbuch auf, nahm ein paar Blätter heraus und hielt sie Felix hin.
»Miss Bedford muss das unterschreiben. Sie verpflichtet sich damit, ihren Anteil an den Arbeiten zu zahlen, die ...«
»Brauchen Sie das gleich?«
»Auf jeden Fall noch diese Woche.«
»Wir machen’s so. Sie lassen das jetzt hier, und Ende der Woche kommen Sie wieder – dann ist es unterschrieben, das garantier ich Ihnen.«
»Wir haben schon etliche Schreiben ...«
»Ist mir klar, aber ... es geht ihr nicht gut, Chef. Sie ist nicht ganz ... Sie hat diese Aggrophobie.« Ein alter Fehler von Felix, den ihm auch wiederholtes Augenverdrehen seitens Annie nicht austreiben konnte, vielleicht, weil seine Wortschöpfung eine tiefere Wahrheit enthielt: Eigentlich hatte sie nämlich keine Angst vor weiten, offenen Orten, sondern Angst vor dem, was zwischen ihr und den anderen Menschen dort passieren könnte. »Kommen Sie später wieder, dann ist es unterschrieben. Dafür sorg ich.«
»Gott, war das öde«, sagte Annie, noch bevor die Tür wieder zu war. »Weißt du, was ich mir überlegt habe, Felix – seit das Wetter so schön geworden ist – wir sollten den ganzen Sommer bei mir oben auf dem Dach verbringen. Wir waren doch immer so gern da oben. Bleib dieses Wochenende hier – Montag ist Feiertag! Ein langes Wochenende.«
»Es ist Karneval dieses Wochenende.«
Das überhörte sie. »Keine vielen Leute. Nur wir zwei. Wir machen uns dieses Hähnchen-Zeug, das du so gern hast, und grillen es oben. Mariniert. Mariniertes Hähnchen. Manieriert, wie wir sind, wir zwei.«
»Isst du neuerdings was?«
Annie hörte auf zu lachen, zuckte leicht zusammen, wandte das Gesicht ab. Sie verschränkte sittsam die Hände im Schoß. »Es ist immer schön, anderen beim Essen zuzusehen. Ich esse Pilze. Wir könnten uns ein paar von diesen legalen Pilzen holen. Weißt du noch? Nur von hier nach da zu kommen ...«, sie deutete vom Sessel zur Chaiselongue, »hat ein gefühltes Jahr gedauert. Und ich war aus irgendeinem Grund überzeugt, da drüben wäre Frankreich. Ich dachte, ich brauche einen Pass, nur um durchs Zimmer zu gehen.«
Felix griff nach seinem Tabak. Er wollte gar nicht erst anfangen, in schönen Erinnerungen zu schwelgen.
»Die kriegt man nicht mehr. Hat die Regierung verboten. Vor ’n paar Monaten schon.«
»Ach? Was sind denn das für Langweiler!«
»Irgend so ’n Typ aus Highgate hat sich für ’nen Fernseher gehalten und sich abgeschaltet. Ist von dieser Brücke gesprungen. An der Hornsey Lane.«
»Ach, Felix, die Story ist mindestens so alt wie ich – die habe ich schon 1985 auf dem Schulhof der Mädchenschule in Camden gehört. Die ›Selbstmörderbrücke‹. So etwas nennt man ein Großstadtmärchen.« Sie kam zu ihm, nahm ihm die Kappe ab und rieb ihm den rasierten Schädel. »Komm, wir gehen jetzt gleich hoch und sonnen uns. Also, ich sonne mich. Du darfst schwitzen. Damit eröffnen wir den Sommer.«
»Mann, Annie: Der Sommer ist fast vorbei. Ich arbeite. Die ganze Zeit.«
»Im Moment arbeitest du offensichtlich nicht.«
»Normalerweise arbeite ich samstags.«
»Na, dann eben irgendwann anders, such dir was aus, wir machen ’nen fixen Termin draus«, sagte Annie mit einem Tonfall, den sie für nordenglisch hielt.
»Geht nicht.«
»Findet er nun meinen Charme so unwiderstehlich ...« ein amerikanischer Akzent »... oder mein Dach?«
»Annie – setz dich, ich muss mit dir reden. Ernsthaft.«
»Red auf dem Dach mit mir!«
Er wollte sie am Handgelenk fassen, doch sie war schneller und entwischte ihm.
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