Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
London NW: Roman (German Edition)

London NW: Roman (German Edition)

Titel: London NW: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zadie Smith
Vom Netzwerk:
Picknicktisch sitzen und eine Portion Pommes essen – er mit Glatze, sie immer noch hübsch. Um einen Lacher zu ernten, gab Felix Hifan eine High-Five, küsste Kelly auf die Wange, klaute eine Fritte und ging weiter, alles in einer einzigen fließenden Bewegung, einer Art Tanz. »Was bringt dich denn so gut drauf?«, rief Kelly ihm hinterher, und Felix rief, ohne sich umzudrehen: »Die Liebe, shorty , die L. I. E. B. E . Die LIEBE !«, machte ein paar Hip-Hopper-Schritte und freute sich an dem Gelächter, während er elegant um die Ecke bog. Keiner sah, wie er dort mit den grauen Mülltonnen hinter dem Haus kollidierte. Er stützte sich mit einer Hand an der Hintertür der Tavern ab, die jetzt einen schicken Buntglaseinsatz hatte und einen nagelneuen Türknauf aus Messing. Holzböden, wo früher Teppiche waren, richtiges Essen statt Chips und Schweinespeck. Fast sechs Pfund für ein Glas Wein! Jackie würde den Laden nicht wiedererkennen. Vielleicht wäre sie jetzt ja eine der Exilanten auf den Stufen des Wettbüros, eine Dose Special Brew in der Hand, von den Renovierungsarbeiten aus den Pubs vertrieben. Vielleicht war es aber auch nie so schlimm mit ihr gewesen. Bei Lloyd konnte man nie sicher sein, was wirklich stimmte und was bloßes Gift war. Felix schaute durch das Fenster ins Innere: keine samtbezogene Sitzecke mehr. Dort hatte er mit seinen Schwestern gesessen, sechs kleine Füße, die noch nicht bis zum Boden reichten, und voller Ernst Jackies Abschiedsrede gelauscht. Ein neuer Mann, den sie kennengelernt hatte und mit dem sie sich frei fühlte. Er lebte in Southhampton, ein Weißer. Mit sieben weiß man noch nichts. Felix wusste nicht, dass man Freiheit auch fühlen kann. Er hatte immer gedacht, frei wäre man einfach. Er wusste auch nicht, wo Southhampton war. Er hatte seinen Vater lieb und wollte nicht fort und bei einem fremden Weißen wohnen. Erst als das Gespräch fast zu Ende war, erkannte Felix, dass sie ihn gar nicht mit nach Southhampton nehmen wollte. Zwei Jahre später tauchte sie mit einem kleinen hellbraunen Jungen wieder in London auf. Ließ Devon bei Lloyd und ging – wohin auch immer. Wohin auch immer sie ging.
     
    Auf der Albert Road fiel Felix in Gleichschritt hinter einer großen jungen Frau in enger roter Jeans und schwarzem Spaghettiträger-Top. Sie hatte breite Schultern und einen stämmigen Oberkörper. Sie war muskulöser als Felix, und beim Gehen bewegten sich alle ihre Muskeln gemeinsam, fließend und komplex: die Arme, die mit dem Rücken verbunden waren und mit dem Hintern und mit den Hüften. Ganz anders als Grace, die kleiner und kurviger und weicher war. Diese Frau hätte Felix hochheben und den ganzen Weg bis nach Hause tragen können und ihn vor seiner Tür absetzen wie ein Baby. An den Fingern hatte sie viele billige Silberringe, die auf der Innenseite schon Grünspan ansetzten, und auf einen Unterarm hatte sie eine Blume mit langem, schwungvollem Stengel tätowiert. Ihre Fersen waren trocken und aufgesprungen. Hinten aus dem Top schaute das Etikett hervor. Ob er es reinschieben sollte? Ein Schweißfädchen lief ihr vom Ohr den Hals entlang und bis zum Rücken hinunter, genau auf der muskelbepackten Grenze, klar definiert, zwischen linker und rechter Körperhälfte. Ihr Handy klingelte. Sie ging ran, nannte jemanden »Baby«. Bog rechts ab. Ein anderes Leben. Felix spürte, wie sich zwei Finger in seinen Rücken bohrten.
    »Geld. Handy. Los.«
    Sie standen rechts und links von ihm. Die Kapuzen hochgezogen, aber trotzdem klar erkennbar. Die Typen aus der U-Bahn. Kaum größer als er. Auch nicht viel breiter. Es war gerade achtzehn Uhr.
    » LOS !«
    Er spürte, wie er angerempelt, geschubst wurde. Er sah in ihre Gesichter. Der Redselige, von dem die ganzen Beschimpfungen gekommen waren, war noch richtig jung; der andere, der Stille, eher in Felix’ Alter und zu erwachsen für solchen Quatsch. Er hatte aschgraue Hände, so wie Felix, und denselben trüben Glanz im Gesicht. Über seine Wange zog sich eine Narbe. Er war wohl irgendwie aus der Gegend, kam ihm bekannt vor. Felix wollte sich wegdrehen, doch sie zerrten ihn wieder zu sich herum. Er beschimpfte sie ausführlich und kreativ und sah nach rechts: Vier Häuser weiter schob die große Frau den Schlüssel ins Schloss und ging hinein.
    »Passt auf, ihr kriegt nichts von mir. Null!«
    Er fand sich auf dem Boden wieder. Während er sich auf die Knie hochrappelte, hörte er den einen sagen: »In der Tube den großen Macker

Weitere Kostenlose Bücher