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London NW: Roman (German Edition)

London NW: Roman (German Edition)

Titel: London NW: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zadie Smith
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wollte sich mit Charme direkten Zugang verschaffen. Rodney wollte unbemerkt hintenrum reinschlüpfen. Rodney Banks strich so viele Stellen aus Machiavellis Fürst mit Textmarker an, dass es eine einzige gelbe Fläche wurde und er sich nicht mehr traute, es in die Bücherei zurückzubringen. »Harte Umstände und die Neuheit der Herrschaft, solche zwingen mich, ans Werk zu gehen, und die weiten Grenzen von Wächtern schützen zu lassen.« Er schleppte das Buch ständig mit sich herum und dazu die King-James-Bibel, eine Kombination, die für ihn keinen Widerspruch darstellte.
52. Nirvana
    Leah saß jetzt bestimmt in ihrem Zimmer, hielt sein Bild an sich gedrückt und heulte. Es fiel Keisha schwer, ein Gefühl der Genugtuung zu unterdrücken, als sie sich diese Szene ausmalte. Dann, mitten in die Nachrichtensendung hinein, sagte Marcia etwas Unfassbares und führte einen Arzt aus der Klinik als Quelle an, und Keisha ging am nächsten Morgen gleich in die Bibliothek, um nachzuforschen. Erbost musste sie feststellen, dass Marcias Prahlerei statistisch gesehen stimmte: Unsereins macht so was praktisch nie.
53. Ausgleich
    Im Juli hatten Leah Hanwell und Keisha Blake Angebote für einen Studienplatz. Sie hatten beide einen Freund. (Leahs Freund spielte Bass in einer Band namens No No Never.) Sowohl die Studienorte als auch die Freunde waren, bei allen Unterschieden, als gleichwertig zu betrachten. Die beiden Mädchen waren zu attraktiven Frauen ohne größere gesundheitliche oder psychische Probleme herangewachsen. Keine interessierte sich fürs Braunwerden. Leah hatte vor, den Großteil dieses letzten Sommers in NW im Schatten einer Eiche auf der Hampstead Heath zu verbringen, mit einer Handvoll Freunde, einem Picknick, jeder Menge Alkohol und ein bisschen Dope. Immer wieder lud sie Keisha ein, die auch schrecklich gern gekommen wäre. Aber Keisha hatte einen Halbtagsjob in einer Bäckerei an der Kilburn High Road, und wenn sie nicht in der Bäckerei war, dann war sie in der Kirche oder half Cheryl mit dem Baby. In der Bäckerei bekam sie drei fünfundzwanzig die Stunde. Sie musste flache schwarze Dienstschuhe tragen, mit runder Spitze und dicker Sohle, und eine braun-weiß gestreifte Uniform, gekrönt von einer »Bäckersmütze« mit Gummizug, unter der auch noch die letzte Haarsträhne zu verschwinden hatte. Die Mütze hinterließ einen Abdruck auf der Stirn. Keisha musste die Croissant-Formen spülen und die Donut-Glasur entfernen, die sich in der schmalen Kerbe zwischen Auslage und Glasscheibe sammelte. Und noch etliche weitere Fronarbeiten. Ursprünglich hatte sie gedacht, das wäre ihr lieber als Kleider verkaufen, aber am Ende hielt selbst ihre große Begeisterung für Wurstpasteten und Eclairs sie nicht mehr aufrecht. Sie bewahrte den Prospekt der Universität in ihrem Schließfach auf und verbrachte die Mittagspause häufig damit, bedächtig durch die Hochglanzseiten zu blättern.
    Jeden zweiten Samstag hatte sie den halben Tag frei, und ein paarmal gelang es ihr, allein auf die Hampstead Heath zu entkommen. Rodney hatte nichts übrig für die Hampstead-Szene, und es wäre unsinnig gewesen, ihm davon zu erzählen, das hätte doch nur Fragen nach der doppelten Buchführung aufgeworfen, die Keisha inzwischen gewohnheitsmäßig betrieb. Auf der einen Seite des Kontos standen Rodney, Marcia, ihre Geschwister, die Kirche und Jesus Christus höchstpersönlich. Auf der anderen lümmelte Leah im hohen Gras, trank Cider und fragte ihre gute Freundin Keisha Blake, ob sie die Gelegenheit nutzen würde, P. W. Botha umzubringen, wenn er plötzlich vor ihr stünde. »Zu einem Mord bin ich doch gar nicht fähig«, protestierte Keisha Blake. »Jeder ist zu allem fähig«, beharrte Leah Hanwell.
54. Weiterbildung
    Ab Herbst besuchten Keisha Blake und Rodney Banks eine Kirche etwas außerhalb von Bristol, die Holy Spirit Ministry, deren Geist dem der Pfingstgemeinde von Kilburn entsprach – der Pfarrer hatte sie ihnen empfohlen. Dort pflegten sie in diesem ersten Semester auch all ihre Sozialkontakte, mit lauter netten Menschen zwischen sechzig und siebzig. Bei jungen Leuten in ihrem Alter kamen sie weniger gut an. Rodney hatte unter allen Türen auf Keishas Flur kirchliche Flugblätter durchgeschoben, und seither wurden sie von ihren Mitstudenten gemieden und mieden sie ihrerseits. Es gab offensichtlich keinerlei Anknüpfungspunkte. Die Studenten waren gelangweilt von Dingen, von denen Keisha noch nie gehört hatte, und

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