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London NW: Roman (German Edition)

London NW: Roman (German Edition)

Titel: London NW: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zadie Smith
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dafür entschuldigte. Viel später in ihrem gemeinsamen Leben kam Natalie Blake der Gedanke, dass die Freimütigkeit ihres Mannes vielleicht auch nur eine weitere Konsequenz seiner ungewöhnlich privilegierten Stellung war. Doch an diesem Nachmittag fand sie ihn einfach nur entwaffnend und war dankbar.
    »Mach lieber schnell, du hast ganz schön viel verpasst.« Er flüsterte ihr die bisherigen Übereinkünfte ins Ohr, mit großem Selbstbewusstsein und so viel Show und Zusatzkommentaren, dass sie ihn in Echtzeit redigieren musste, während sie sich die Informationen notierte und die Berufungsbegründungen mit Spiegelstrichen auflistete. »Und hier kommt auch schon unser Junior Counsel. Das war’s – du bist auf dem aktuellen Stand.« Der Junior Counsel erhob sich. Natalie drehte sich so, dass sie Frank im Profil sah. Er war wirklich der schönste Mann, der ihr je begegnet war. Breit, imposant. Die Augen eine Schattierung heller als die Haut. Sie wandte sich wieder um und musterte den Junior Counsel. Er sah aus wie zwölf. Sein Plädoyer war unbeholfen; er sah praktisch nie von seinem dicken Stapel Din-A4-Blätter auf und sprach die Dozentin zweimal mit » Your Lordship « an.
92. Nach Tisch
    »Wo sind wir? Wieso bin ich hier?«
    »In Marylebone. London reicht nicht nur bis zur Kilburn High Road.«
    »Aber ich muss nach Hause.«
    »Du hörst dich an wie E.T.«
    »Bring mich zurück, Frank. Ich kenn mich hier doch gar nicht aus.«
    »Manchmal kann ein bisschen Verunsicherung auch ganz schön sein.«
    »Aber morgen früh haben wir Moot Court. Mein Gott, war dieses Essen schlecht. Und ich hab viel zu viel Wein getrunken. Du musst doch auch heim.«
    »Ich bin daheim. Ich wohne gleich hier.«
    »Hier wohnt doch keiner.«
    »Oh ihr Ungläubigen! Die Wohnung gehört meiner Großmutter. Warum versuchst du nicht einfach mal, dich zu amüsieren?«
93. Simpatica
    Der Kühlschrank war leer, bis auf eine große rosa Schachtel von Fortnum & Mason. Sie enthielt vier Reihen Macarons in geschmackvollen Pastellfarben. Natalie Blake trug sie dorthin, wo Frank saß, an der Kücheninsel gestrandet. Ringsum nichts als weißer Raum. Er nahm ihr die Schachtel ab und legte ihr die Hände auf die Schultern.
    »Entspann dich, Blake.«
    »Wie soll ich mich denn in dieser Wartehalle hier entspannen?«
    »Snobismus mal anders.«
    »Ich hab solchen Hunger. Das Essen war wirklich scheußlich. Fütter mich.«
    »Später.«
    Er trug sie nach oben, vorbei an Gemälden und Lithografien, Familienfotos und einer Chaiselongue in der Diele. Sie betraten ein kleines Dachzimmer ganz oben in der Wohnung. Das Bett stand direkt unter den Dachsparren; immer wieder stieß sie mit dem Ellbogen an das Bücherregal. Juristische Wälzer, Tolkien, jede Menge Horrortaschenbücher aus den Achtzigern, Autobiografien von Managern und Politikern. Dazwischen entdeckte sie einen einsamen Freund, Hundert Jahre Freiheit .
    »Hast du das gelesen?«
    »Ich glaube, meine Großmutter kannte ihn aus Paris.«
    »Ist ein tolles Buch.«
    »Ich nehm Sie beim Wort, Junior Counsel.«
94. Die Freuden des Benennens
    Vielleicht ist Sex ja gar nichts Körperliches. Vielleicht ist Sex ja eine Sprachfunktion. Das Repertoire ist begrenzt – es gibt nur soundsoviele Orte für soundsoviele Körperteile –, und technisch war Rodney absolut nichts vorzuwerfen. Aber er sagte nichts. Während Franks alberne, unkontrollierte, unbefangene, peinliche Geschichtenerzählerei hier, im Schlafzimmer, ihre wahre Bestimmung fand.
95. Nach dem Akt
    »Er kam aus Trinidad, wohnte in Süd-London, arbeitete bei der Eisenbahn. Sie sagt immer ›Lokführer‹, weil das besser wirkt – stimmt aber nicht. Bahnwärter. Später hatte er dann irgendwo einen Bürojob. Sie hat ihn im Park getroffen. Ich habe ihn nie kennengelernt. Harris. Eigentlich müsste ich ›Frank Harris‹ heißen. Er ist tot. Das ist alles.«
    Auch nackt plusterte er sich noch auf. Natalie Blake rutschte herum, bis sie oben lag, und sah ihm in die Augen. Ein jungenhafter Ausdruck von Verletzlichkeit, Stolz und Angst war noch ganz deutlich in dem erwachsenen Gesicht zu erkennen. Und natürlich fesselten sie gerade diese Eigenschaften. »Dann ging sie schwanger mit mir zurück nach Mailand. Das war in den Siebzigern. Danach Apulien. Dann England wegen der Schule. Das war nicht schlimm, es war toll, so aufzuwachsen. Ich mochte meine Schule.« Einzelkind. Eine legendäre Familie, reich, wenn auch nicht mehr so reich wie früher. »Es gab Zeiten, da

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