London NW: Roman (German Edition)
hatte jeder italienische Haushalt, der was auf sich hielt, eine Gasheizung von De Angelis ...« Kein Mensch wusste etwas mit seinen Haaren anzufangen. Er sprach kaum Englisch. Gefährlich hübsch. Acht Jahre alt.
96. Ich allein verfasse
»Aber bei dir hört sich das an, als wäre ich ein Opfer, dabei will ich doch gerade sagen, ich hatte eine richtig gute Zeit, das waren nur Kleinigkeiten, ich weiß eigentlich gar nicht, warum wir überhaupt darüber reden. Du stellst lauter Suggestivfragen. Italiener mit seltenem negroidem Einschlag verlebt glückliche Kindheit, lernt Latein, aus die Maus. Danach keine besonderen Vorkommnisse mehr, von 1987 bis heute Nacht.« Er küsste sie überschwänglich. Vielleicht würde sie ja immer auf ihn aufpassen, ihn dabei unterstützen, ein echter Mensch zu werden. Sie war schließlich stark! Selbst wenn man in Caldwell vergleichsweise schwach gewesen war, war das im richtigen Leben als eindrucksvolle Stärke zu werten. Das richtige Leben verlangte einem schließlich viel weniger ab und war so viel simpler gestrickt.
97. Notabene
Natalie stellte sich nicht einmal die Frage, ob Franks Internatserfahrung bei ihm vielleicht Ähnliches bewirkt hatte.
98. Halbjahrestag
»Frank, ich geh runter, ich kann einfach nicht arbeiten, wenn der Fernseher läuft. Kann ich den Smith and Hogan mitnehmen?«
»Ja, und verbrenn ihn doch auch gleich.«
»Wie genau hast du vor, durch diese Prüfung zu kommen?«
»Mithilfe meines Genies.«
»Was guckst du da eigentlich?«
» MTV Base. Musikvideos sind die einzig erfreuliche Form moderner Kunst. Schau, ist das nicht pure Lebensfreude?«
Er streckte den Arm aus dem Bett und legte den Finger auf eine Breakdancerin im weißen Trainingsanzug. »Ich war gerade in Apulien, als er starb. Kein Mensch hat’s kapiert. Ein fetter Gangsta? Ja und? So war da die Einstellung. In deren Augen ist das nicht mal Musik.«
Alles, was er sagte, klang wunderbar. Ihm fehlte nur das, was Italiener als forza bezeichneten, aber dafür würde Natalie Blake schon sorgen (siehe oben).
99. Frank unterwegs in Sachen Leah
Die Sonne warf lange Schatten durch die Jalousien. Natalie Blake stand nervös in der Wohnzimmertür, ein Glas Wodka in der Hand, allzeit bereit, jeglichen Riss zu kitten. Leah und Frank saßen nebeneinander auf dem Chesterfieldsofa seiner Großmutter. Natalie sah, wie sehr Leah zu sich gefunden hatte. Nicht mehr schlaksig: groß. Keine Karottenhaare mehr: ›kastanienfarben‹. Die experimentelle Phase war vorbei. Jeansrock, Hoodie, Fellstiefel, eine dicke goldene Kreole in jedem Ohr. Zurück zu den Ursprüngen. Natalie Blake beobachtete, wie ihr Freund Frank De Angelis schiefe weiße Lines auf der gläsernen Tischplatte zog, während ihre gute Freundin Leah Hanwell einen Zwanzig-Pfund-Schein zu einem dünnen Röhrchen rollte. Sie sah zu, wie er aufmerksam lauschte, während Leah von einem Mann erzählte, dessen Name, so wie sie ihn aussprach, nach Mischell klang. Sie hatten sich gerade auf Ibiza kennengelernt. Frank nahm seine Aufgabe sehr ernst. Er hatte begriffen, dass man Natalie Blake nicht lieben konnte, wenn man nicht erst Leah Hanwell lieben lernte.
»Das finde ich ja hochinteressant: Ihr Mädels steht anscheinend auf Eurotrash. Etwa nicht? Ist doch ein seltsamer Zufall. So viele gibt es nicht von uns. Ist das ein Wettbewerb?«
»Pass mal auf, mein Junge: Du bist vielleicht Eurotrash. Aber er ist aus Guadeloupe! Sein Vater war bei der Widerstandsbewegung im Untergrund – irgendwann war er dann auf der Flucht, und die ganze Familie musste mit. Jetzt ist der Vater Hausmeister an einer Schule in Marseille. Seine Mutter ist Algerierin. Sie kann weder lesen noch schreiben.«
Frank senkte den Kopf und zog einen komischen Flunsch.
»Eins zu null für Hanwell. Der klingt ja echt wie das Tüpfelchen auf dem i. Der Sohn des Widerstandskämpfers. Da muss ich die moralische Vorherrschaft wohl abtreten. Das Tüpfelchen auf dem i bin ich nämlich definitiv nicht.«
Leah lachte. »Du bist das Koks auf der Tischplatte. Das schlampig zerteilte Koks.«
100. Natalie unterwegs in Sachen Elena
Ein Mittagessen in Mayfair. Eine bildschöne Frau lässt sich eine Auster in den Mund gleiten. Ihr Handy ist so schmal und leicht, dass es problemlos in die Brusttasche ihrer Seidenbluse passt. »Und, ist er fleißig?«, fragt sie. Elena De Angelis klopfte mit einer dünnen Zigarette auf das Tischtuch und maß Natalie Blake mit einem zutiefst hinterlistigen Seitenblick. Noch ehe
Weitere Kostenlose Bücher