London Road - Geheime Leidenschaft
stundenlang vor dem Bildschirm hocken und sich in Zombies verwandeln konnten.
Vor etwa acht Monaten war ich einmal mit Joss und Ellie zusammen ausgegangen. Schon nach fünf Minuten hatte mich das Gefühl beschlichen, dass sie mich unter ihre Fittiche nehmen wollten. Bei der Gelegenheit hatte Ellie mich gleich zum sonntäglichen Familienessen eingeladen (während Joss feixend danebensaß und sich freute, dass endlich mal jemand anders in den zweifelhaften Genuss einer Ellie-Spezialbehandlung kam) und gemeint, ich sollte unbedingt auch Cole mitbringen. Nachdem ich zwei Monate lang Ausreden erfunden hatte, um mich davor zu drücken, war irgendwann der Punkt gekommen, an dem es unhöflich gewesen wäre, ihre Einladungen weiterhin auszuschlagen. Also kam ich mit Cole zum Essen, und wir beide fühlten uns so wohl, dass wir von da ab immer versuchten, wenn irgend möglich sonntags zum Essen zu den Nichols’ zu kommen.
Ich genoss diese Sonntage deshalb so sehr, weil sie Cole und mir die Gelegenheit gaben, ganz wir selbst zu sein. Ich wusste nicht, was Joss den anderen über unsere Mutter erzählt hatte, jedenfalls stellte niemand Fragen, so dass Cole und ich wenigstens für ein paar Stunden in der Woche loslassen und einfach nur Spaß haben konnten. Außerdem war Elodie eine echte Glucke, und da mein Bruder und ich so etwas nicht kannten, war es für uns umso schöner, von vorne bis hinten umsorgt zu werden.
In der Regel bestand die sonntägliche Runde aus der Familie Nichols, Ellie mit ihrem Freund Adam, Braden und Joss.
Während wir auf das Essen warteten, unterhielt ich mich fast immer mit Hannah. Vom Aussehen her war sie eine jüngere Kopie ihrer wunderschönen großen Halbschwester. Mit ihren eins fünfundsiebzig war sie groß für ihr Alter, und falls sie nach Ellie kam, hatte sie ihre endgültige Körpergröße bereits erreicht. Sie war bildhübsch, mit kurzen strohblonden Haaren, großen samtbraunen Augen, die unter einem trendigen Pony hervorlugten, feinen Gesichtszügen und einem niedlichen spitzen Kinn. Sie würde später einmal mehr Kurven haben als ich, denn sie besaß schon jetzt ein ganz ansehnliches Dekolleté und einen schönen Schwung in der Hüfte. Sie war noch keine sechzehn, ging aber locker für achtzehn durch, und wäre ihre Schüchternheit nicht gewesen, hätten die Jungs garantiert bei ihr Schlange gestanden und ihren Vater Clark damit in den Wahnsinn getrieben.
Hannah war eine noch größere Leseratte als ich und vergrub sich oft in ihren Büchern und Hausaufgaben. Ich fand es schade, dass sie so zurückhaltend war, zumal sie eine faszinierende Persönlichkeit hatte. Sie war klug, freundlich, lustig und eine Spur bissiger als ihre ältere Schwester. Oft hockte ich in ihrem großen Zimmer und durchforstete ihre Bücherstapel, während sie mir irgendetwas erzählte.
»Das da war echt gut«, sagte sie. Als ich mich von ihrem Bücherregal abwandte, stellte ich fest, dass sie nicht länger mit ihrem Laptop beschäftigt war. Offenbar war ich gerade interessanter als ihre Facebook-Freunde.
»Dieses hier?« Ich winkte mit dem Buch, das ich gerade in der Hand hielt. Für gewöhnlich las ich keine Jugendbücher, aber Joss hatte mir so davon vorgeschwärmt, dass ich beschlossen hatte, es auf einen Versuch ankommen zu lassen. Hannah war so etwas wie meine persönliche Leihbücherei. Durch sie sparte ich Unmengen an Geld.
Sie nickte lächelnd, und in ihrer linken Wange zeigte sich ein Grübchen. Sie war wirklich zuckersüß. »Es kommt sogar ein heißer Typ drin vor.«
Ich hob eine Braue. »Wie alt?«
»Vierundzwanzig.«
Angenehm überrascht, blätterte ich in den Seiten. »Nicht schlecht. Wer hätte gedacht, dass Jugendliteratur so gewagte Inhalte hat?«
»Die Hauptfigur ist achtzehn. Ist also nichts Ekliges oder so.«
»Gut zu wissen.« Ich erhob mich von den Knien, ging zu Hannahs riesigem Bett und ließ mich neben ihr auf die Matratze plumpsen. »Ich möchte auf keinen Fall, dass du meine Unschuld verdirbst.«
Hannah prustete los. »Das hat Malcolm ja wohl schon erledigt.«
Ich lachte. »Was weißt du schon von solchen Dingen? Interessierst du dich denn für Jungs?«
Natürlich hatte ich damit gerechnet, dass sie abweisend die Stirn runzeln und den Kopf schütteln würde, so wie jedes Mal, wenn ich ihr diese Frage stellte.
Zu meiner großen Verwunderung wurden ihre Wangen feuerrot.
Interessant.
Ich setzte mich kerzengerade hin und schob den Computer von ihrem Schoß aufs Bett. Ich wollte
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