London
Schreckliches. Gestandene Bürger – Fischhändler, Gerber, Händler und Handwerker – wiegelten den alten Folkmoot in einer organisierten Rebellion gegen reiche Dynasten wie Bull auf. Eine Gruppe unter der Führung eines wütenden jungen Fischhändlers namens Barnikel zertrümmerte die Tür von Bulls Haus und versuchte, es in Brand zu stecken. Und dann verleitete auch noch Montfort diese Radikalen dazu, die Aldermen abzusetzen und neue, vulgäre Kerle aus ihren eigenen Reihen zu wählen. Dieser unglückselige Zustand währte solange, bis Montfort schließlich getötet wurde und der König wieder die Macht an sich nahm; danach gelang es auch den alten Patriziern wieder, allmählich die Kontrolle über London zu übernehmen.
Am schlimmsten an dieser ganzen Geschichte war – schon allein bei der Erinnerung daran ballte Bull wütend die Fäuste –, daß sich sogar der Bruder seines Vaters den Rebellen angeschlossen hatte, genauso wie eine Reihe junger Idealisten oder vielleicht auch Opportunisten aus anderen Patrizierfamilien. »Aber das macht es nicht besser«, hatte Williams Vater gemeint. »Ein Verräter ist und bleibt ein Verräter.« Der junge Radikale wurde aus der Familie verstoßen. Und jetzt belästigte ihn der elende Sohn dieses Verräters schon zum drittenmal in diesem Jahr. Doch dann hellte sich Williams Miene auf, denn nach der großen Entscheidung, die er eben gefällt hatte, kam ihm dieser Besuch jetzt eigentlich ganz gelegen. Das ist zwar grausam von mir, dachte er, aber warum sollte ich mir diese bescheidene Rache nicht gönnen?
Der Kaufmann starrte auf seinen Vetter und meinte dann barsch: »Ich gebe dir drei Mark.« Das war genug, um die Mahlzeiten der Familie für eine Weile zu sichern, aber nicht genug, um an ihren Lebensumständen grundlegend etwas zu verändern. Elias wirkte noch nicht zufrieden. »Wenn du mich in einem Jahr hier vorfindest«, meinte William achselzuckend, »dann gebe ich dir vielleicht die Erbschaft, die dir zugestanden hätte. Aber jetzt verschwinde!« Dem armen Elias blieb nichts weiter übrig, als diesem Befehl zu gehorchen.
Das Grausame an Williams kleinem Scherz beruhte auf der großen Entscheidung, die er soeben gefällt hatte. In einem Jahr würde er nämlich nicht mehr hier sein. Die Bulls verließen London.
Sogar sein Vater hatte oft genug bemerkt, daß die Stadt immer unerträglicher wurde, vor allem wegen der Einwanderer. Der wirtschaftliche Aufschwung in diesem Jahrhundert führte dazu, daß London sich zunehmend vergrößerte. Der Strom von Einwanderern war zu einer Flut geworden. Italiener, Spanier, Franzosen und Flamen, Deutsche aus dem wachsenden Netzwerk nordischer Häfen, die inzwischen als Hansestädte bezeichnet wurden, und natürlich auch Kaufleute und Handwerker aus ganz England strömten in die Stadt. Und mit Ausnahme der Hanseleute, die sich strikt in ihren eigenen Kreisen bewegten, vermischten und verheirateten sich diese ganzen Leute mit eben den Handwerkern, die unter Montfort so rebellisch geworden waren.
Für William zeigte sich dieser Prozeß deutlich in einem Ereignis, das sich ein Jahr vor König Heinrichs Tod zugetragen hatte. Der kleine Kirchturm von St. Mary-le-Bow war in einem Sturm eingestürzt und hatte ein daneben stehendes Haus, das Bull gehörte, beschädigt. Sein Vater hatte das Haus nicht reparieren lassen, sondern beschlossen, es zu verkaufen. Ein Jahr darauf teilten sich ein Färber aus der Picardie und ein Lederverkäufer aus Cordoba dieses und drei weitere kleinere Häuser der Bulls. Dann waren auf dem nahe gelegenen Garlick Hill einige ganz gewöhnliche Gerber eingezogen. Und dann war auch noch sein eigenes Haus, das vorher zur aristokratischen Pfarrei von St. Mary-le-Bow gehört hatte, der winzigen Pfarrei von St.-Lawrence-Silversleeves zugeordnet worden. So eine mickrige, kleine Kirche war des Patriziers Bull nicht würdig. Die Familie wurde zurückgedrängt, das war völlig klar.
Die Herrschaft Heinrichs III. war schlecht genug gewesen für die Familie Bull, doch die letzten zwanzig Jahre unter seinem Sohn Eduard waren tatsächlich der reine Alptraum. Eduard I. war ein eindrucksvoller König. Groß und stark, mit edlen Gesichtszügen und einem wallenden Bart, nur unwesentlich beeinträchtigt durch eine Lidschwäche am linken Auge und ein kleines Lispeln. Der mächtige Gesetzgeber und Feldherr war sowohl intelligent als auch tatkräftig. Man nannte ihn den Leoparden. Er war entschlossen, seinen eigenen, eisernen Willen
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