London
andere erfolgreiche Londoner Fischhändler auch noch ein Standbein in dem kleinen, doch sehr geschäftigen Hafen Yarmouth, etwa hundert Meilen entfernt an der Ostküste. Dort besaßen sie zwei weitere Fischerboote und einen Anteil an einem höchst gewinnträchtigen Handelsschiff. In Yarmouth hatte Barnikel auch seine Frau kennengelernt, dort war er reich geworden und hatte an einer höchst sonderbaren historischen Bewegung teilgenommen.
Das weite Gebiet von Ostanglien hatte in all den Jahrhunderten seit der normannischen Eroberung seinen alten Charakter gewahrt. Natürlich waren auch neue Leute eingewandert, vor allem flämische Weber, deren Fertigkeiten sehr willkommen waren. Doch im wesentlichen waren die großen Weideflächen, die Wälder und Sümpfe noch immer so wie in den Zeiten des Danelaw: Länder der Angeln und Dänen, der bodenständigen Kaufleute, isoliert und unabhängig. Wie das übrige England war auch Ostanglien in diesem Jahrhundert reich geworden, und zwar vor allem mit dem Export von zwei Sorten Tuch, das jeweils unter dem Namen des Ortes, in dem es hauptsächlich hergestellt wurde, bekannt war: Kersey im südlichen Teil, Worsted im nördlichen Teil. Als Barnikel die Tochter eines reichen Tuchherstellers aus Worsted kennenlernte, die wie er selbst von den Wikingern abstammte, zögerte er nicht lange, sie zu heiraten. Dies verdoppelte sein Vermögen. Als er sie mit nach London nahm, kam ihre ganze Familie gleich mit.
Kaufleute aus Ostanglien machten einen guten Teil der Zuwanderer aus, die in jener Zeit nach London strömten. Barnikel hatte kürzlich bemerkt, daß die Leute in London sogar anders zu sprechen begannen. Im ausgehenden dreizehnten Jahrhundert kamen wieder die Nordmänner nach London, allerdings nicht mehr die seefahrenden Wikinger, sondern deren inzwischen fest in der englischen Mittelschicht verwurzelten Nachfahren. Dies spiegelte sich auch im Londoner Dialekt wieder.
Barnikel war ein reicher Kaufmann. Er verkaufte Fisch, aber seine Schiffe transportierten auch Pelze und Holz aus dem Baltikum sowie Getreide und sogar Wein. Vor kurzem war er zum Alderman ernannt worden. Was würde als nächstes kommen? Doch nie hatte er damit gerechnet, daß König Eduard persönlich ihn zu sprechen wünschte.
»Ich brauche Euch«, hatte der große, grauhaarige Monarch gesagt. »Ich brauche Euch für das Parlament.« Der Fischhändler war rot angelaufen vor Stolz; er konnte es kaum fassen, welche Ehre ihm da zuteil werden sollte. Ein Barnikel im Parlament!
König Eduards Beschluß, zweimal im Jahr Parlamente in Westminster einzuberufen, zeigte wieder einmal, wie gewitzt und scharfsinnig er war. In Erinnerung an die Demütigung, die sein Vater und sein Großvater unter dem Druck der Barone erlitten hatten, war er sehr viel klüger vorgegangen. Wann immer eine wichtige Entscheidung anstand, rief er nicht nur den Rat der Barone zusammen, sondern auch die anderen Parteien, die davon betroffen waren. Wenn es um die Kirche ging, rief er Vertreter des Klerus herbei; ging es um den Handel, die Bürger der Stadt; ging es um den allgemeinen Militärdienst, die lokalen Ritter. Und manchmal wurden auch alle zusammen einberufen. Solche Parlamente beobachteten auch die königliche Rechtsprechung, deren letzte Instanz der König war. Natürlich erließ der König oft selbst Gesetze, aber er hatte sein Parlament immer als ausführendes Organ.
Genauso wie er die kleineren Kaufleute benutzte, um die Macht des Londoner Mayors und seiner Oligarchen zu brechen, konnte der Monarch mit seinen Parlamenten seine Kronvasallen einschränken. Selbst die Macht der Kirche konnte er brechen, wenn auch in geringerem Ausmaß. Und so nahm unter der Herrschaft König Eduards I. die große Institution des Parlaments ihren Anfang, wenn auch nicht, um die Macht in die Hände des Volkes zu legen, sondern um den langen politischen Arm des Königs zu stärken.
Am Vortag war einer der Londoner Volksvertreter, der am Parlament hätte teilnehmen sollen, krank geworden. »Also habe ich nach Euch geschickt«, hatte König Eduard Waldus lächelnd erklärte.
Natürlich gab es dafür einen Grund, das war Barnikel klar; er war ja schließlich kein Dummkopf. Wenn der König Kaufleute in seinem Parlament haben wollte, bedeutete dies, daß er neue Steuern von den Städten haben wollte. Wenn er bereit war, einem neuernannten Alderman zu schmeicheln, wollte er wohl eine ziemlich hohe Summe. Nun denn, er würde sie wohl auch bekommen.
Jedenfalls
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