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London

London

Titel: London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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König und Anne von Böhmen verliebten sich wie im Märchen auf den ersten Blick.
    Ende Februar beschloß das dicke Mädchen im Haus auf der Brücke, endlich den Mund aufzumachen. »Ducket hat nicht bei dem Aufstand mitgemacht«, erklärte es Tiffany eines Tages. »Er hat einem Mann das Leben gerettet.«
    Dies berichtete Tiffany natürlich auch ihrem Vater, doch der war wenig beeindruckt. »Das dicke Mädchen hat die Geschichte doch nur von Ducket selbst. Er kann sagen, was er will, am Savoy-Palast war er jedenfalls. Außerdem erinnerst du dich sicher noch an Dame Barnikels Verdacht. Meine Meinung steht fest, und du hältst dich bitte von ihm fern!« Darauf senkte Tiffany gehorsam den Kopf und erwiderte nichts. Doch sie schickte eine Nachricht los.
    Ducket kam wie bestellt zur Kirche St. Mary-le-Bow. Seit mehr als sechs Monaten war er nun aus dem Hause Bull verbannt, und nun, als Tiffany in seine fröhlichen Augen und auf seine widerspenstige weiße Haarsträhne blickte, durchzuckte sie plötzlich ein Schuldgefühl. Selbst wenn ihr Vater recht hatte – wie konnte sie soviel Zeit verstreichen lassen, ohne ein einziges Mal zu versuchen, ihn zu sehen? Wie hatte er sich wohl gefühlt, als Verstoßener, ohne das kleinste Zeichen von Freundschaft von ihr? Doch als sie ihm sagte, was sie erfahren hatte, meinte er, völlig frei von jeglicher Bitterkeit: »Ich bin froh, daß du nun das Gefühl hast, daß es nicht gefährlich ist, mit mir zu reden. Aber es ist wirklich seltsam – in den letzten paar Jahren sind eine Reihe von Leuten mir gegenüber ziemlich abweisend gewesen, und ich weiß einfach nicht, warum.«
    Tiffany ahnte den Grund. »Ich glaube, es gibt da etwas, das du wissen solltest«, meinte sie.
    Um Ostern herum gelangten mehrere Kopien eines höchst gefährlichen Buches nach London. Da Bücher handschriftlich angefertigt wurden, gab es nur eine begrenzte Anzahl, doch trotzdem waren die Behörden sehr beunruhigt. Es handelte sich um die Bibel in einer sehr wörtlichen Übersetzung, die zum Teil von Wyclif persönlich, doch größtenteils von anderen angefertigt worden war, und zwar in Englisch. Männer wie Carpenter konnten sie lesen, und dieser Gedanke erschreckte viele Leute. John Balls Predigten hallten noch in vielen Ohren nach, und der Schrecken der Revolte war noch keineswegs abgeklungen; die Vorstellung, daß einfache Leute nun die Bibel lesen und ihre eigenen Predigten verfassen konnten, erregte bei verantwortungsbewußten Leuten große Besorgnis. Die Anhänger Wyclifs erhielten einen abfälligen Spitznamen: Lollarden, was soviel bedeutete wie Schwätzer oder Frömmler und wohl auch darauf hinweisen sollte, daß sie die Gebete in der Volkssprache murmelten.
    Ben Carpenter war sehr erpicht auf eine Lollardenbibel. Bisher war es ihm nur gelungen, das Buch Genesis in die Hände zu bekommen. Wie bei vielen Lollardenbibeln waren einige Lollardentraktate vorangestellt. In das »George« nahm er das Buch nicht mit, denn Amy hatte ihm erklärt, daß ihre Mutter seit dem Aufstand von Wyclif nichts mehr hielt, aber er führte Amy immer wieder einmal an einen ruhigen Ort, um ihr daraus vorzulesen.
    In einer naßkalten Nacht im Mai ging Ducket aus dem Ludgate hinaus. Nachdem Tiffany ihm von Dame Barnikels Verdacht erzählt hatte, hatte er zwei Monate lang geduldig auf seine Chance gewartet und bemühte sich nun darum, seine Beute nicht aus den Augen zu verlieren. Vielleicht gab es ja gar keinen Zusammenhang, aber es ging ihm einfach nicht aus dem Kopf, daß Flemings gelegentliches Verschwinden etwas mit seiner Geldnot zu tun haben könnte. Und um seinen guten Ruf wiederherzustellen, mußte er herausfinden, was Fleming trieb. Vor ihm überquerte der Gemischtwarenhändler gerade die Fleet-Brücke und setzte seinen Weg nach Westen hin zur Temple-Schranke fort. Kurz davor bog er nach rechts in die Chancery Lane ein. Ein Windstoß peitschte den Regen in Duckets Gesicht. Er wischte sich die Augen aus. Und dabei entkam ihm Fleming.
    Ducket rannte die Chancery Lane hinauf. An beiden Seiten der Straße standen Häuser. Er kam an einigen Gassen und Hinterhöfen vorbei, in die Fleming gegangen sein konnte. Die stetig herabprasselnden Regentropfen ignorierend, rannte er nochmals die Straße auf und ab. Da hörte er plötzlich, wie über ihm ein Fensterladen aufging, und sah ein Gesicht am hellen Fenster.
    Fleming hatte das glimmende Feuer mit wachsender Erregung beobachtet. Diesmal mußte es passieren. Im nächsten Monat sollte

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