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London

London

Titel: London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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seine Tochter heiraten. Was konnte er ihr geben? Nichts. Und wie lange war es wohl her, seit seine Frau etwas Gutes über ihn geäußert hatte? Nur Geld konnte seine Probleme lösen. Wieder einmal hatte er all seine mühsam abgezweigten Ersparnisse dem Alchemisten gebracht.
    Silversleeves beugte sich über sein Werk. Die Spannung in dem kleinen Raum wuchs, das Feuer zischte, draußen drosch der Regen gegen den Fensterladen. Schließlich war es soweit. »Blast in das Feuer!« befahl er seinem Bewunderer. Da stieß plötzlich der Wind den Fensterladen auf. Fleming beugte sich aus dem Fenster, um den Laden zu befestigen. Währenddessen begann das Gebräu in dem Tiegel zu köcheln. Fleming stellte sich auf Zehenspitzen davor und beobachtete es gespannt. Dann passierte etwas Sonderbares, und auch Silversleeves blickte erstaunt hoch. Das Gebräu brodelte nun heftig; der Tiegel schwankte. Aber nicht nur er, auch die anderen Gefäße auf dem Tisch begannen zu schwanken. Die Tür und das Fenster klapperten; der Tiegel hüpfte, das ganze Haus begann zu wackeln. »O mein Gott!« schrie Fleming verzückt. »Es ist vollbracht!« So mußte es wohl kommen, wenn sich das alchemistische Wunder vollzog. Vielleicht schwankten ja die himmlischen Sphären genauso heftig wie das Haus, vielleicht hatte ja Silversleeves die Welt in diesem Moment dazu gebracht unterzugehen. Er war sehr beunruhigt.
    Da ging die Tür auf, und Ducket starrte mit offenem Mund auf die Szene. Er war über den Hof gerast und die baufällige Außentreppe hinaufgestürmt, während das Haus und alle Häuser rundherum zu schwanken begonnen hatten.
    Ducket hatte noch nie ein Erdbeben erlebt. Das große Beben, das im Mai 1382 London erschütterte, war eines der wenigen, die in der Geschichte der Stadt verzeichnet sind. Es richtete zwar keinen ernsthaften Schaden an, doch es erschreckte die Bewohner der Stadt zutiefst. Aber als Ducket nun in den Raum starrte, hatte er nicht viel Zeit, über das Erdbeben nachzudenken. Dies hier war keine Hurenunterkunft, wie er es erwartet hatte, und auch keine Spielhölle. Er sah Fleming und neben dem Feuer einen Magier, der eigentlich keiner war. Er blickte in das Gesicht des frommen, redlichen Silversleeves, der in diesem Augenblick jedoch nicht besonders redlich, sondern sehr schuldbewußt und ertappt wirkte.
    »Ach, du bist es, Ducket«, sagte Fleming. »Komm her und sieh es mit eigenen Augen. Wir haben gerade Gold hergestellt.«
    Ducket hatte von der Alchemie gehört. »Ihr seid ein Teufel!« schrie er Silversleeves an. Der Jurist zog die Schultern ein. Ducket war überrascht, wie leicht er letztlich die Oberhand gewann, denn anfangs sträubte sich Fleming noch sehr gegen die Erkenntnis, daß er übers Ohr gehauen worden war. »Wißt Ihr denn nicht, daß diese Burschen Betrüger sind?« rief Ducket. »Sie können kein Gold herstellen. Sie lassen es Euch nur glauben, damit Ihr sie dafür bezahlt.« Er musterte den Tiegel. »Wo ist das Gold?« fragte er. »Hier jedenfalls nicht.« Erst als Ducket Silversleeves unter der Androhung, ihm eins auf die Nase zu geben, zwang, seinem Opfer die Wahrheit zu sagen, begann Fleming, die Sache zu verstehen. »Er hat mir also mein ganzes Geld gestohlen«, murmelte er schließlich.
    »Und er muß es zurückgeben«, sagte Ducket. Aber inzwischen hatte der Jurist seine Fassung zurückgewonnen. »Es ist nichts mehr davon da«, sagte er milde lächelnd.
    Nun hätte Fleming ja auch ärgerlich werden oder Silversleeves drohen können, ihn zu verraten, doch als leichtgläubiges Opfer trug er eine Mitschuld. Er bat Ducket mit Tränen in den Augen: »Versprich mir, daß du keiner Menschenseele verrätst, was ich getan habe. Ich könnte es einfach nicht ertragen, wenn meine Frau oder Amy es erfahren würden!«
    Ducket zögerte. Er sah Silversleeves grinsen. Der gerissene Jurist dachte wohl, daß er ungeschoren davonkommen würde. »Ich werde es ganz London erzählen«, sagte Ducket gleichmütig, »wenn nicht dieser Teufel hier mir etwas verspricht. Gebt Tiffany auf, oder ich werde Euch in aller Öffentlichkeit bloßstellen!«
    Silversleeves erbleichte. »Ich glaube nicht, daß dies notwendig ist. Aber wenn Ihr meint…«
    Am nächsten Morgen – ganz London sprach über das Erdbeben – traf Ben Carpenter einen Mann in der Nähe von St. Paul's, der ihm eine ganze, vollständig übersetzte Bibel anbot. Nun hatte er tatsächlich eine eigene Bibel. Er konnte sein Glück kaum fassen, auch wenn es ihn einen

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