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London

London

Titel: London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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Einwände Partei für ihren Bruder, den sie im Verdacht hatte, ein Ketzer zu sein.
    »In der Praxis ändert sich nichts«, versicherte Thomas. »Heinrich ist ein treuer Katholik, und zudem müssen selbst die geringfügigsten Reformen von den Bischöfen und vom Parlament verabschiedet werden. Dem Glauben droht keine Gefahr.«
    Es gab im Parlament weniger Opposition, als Susan erwartet hatte. Und als sie Cromwell bei der Amtsführung beobachtete, begriff sie, warum sich das Parlament dem Willen des Königs unterwarf. Es war Furcht.
    Nur einen kleinen Trost gab es. Es war nicht die Rede davon, jedermann zu zwingen, einen neuen Eid zu schwören. Wenn manche von Heinrichs Untertanen das Gesetz ablehnten, konnten sie wenigstens im stillen leiden.
    Und genau das tat Rowland. Mechanisch ging er seiner Arbeit nach, und als der Herbst in den Winter überging, versank er in stummer Trübsal. Selbst wenn sie allein in ihrem Schlafzimmer waren, blieb zwar noch die Zuneigung bestehen, doch alle Freude war dahin.
    Wäre nur Peter hier, dachte Susan.

1535
    Im Januar 1535 erhielt Minister Cromwell einen beunruhigenden Bericht aus Rom. Papst Klemens war vor einigen Monaten gestorben, und es gab ein neues Kirchenoberhaupt. Bevor der Geheimbericht eingetroffen war, hatte man kein Wort von ihm gehört.
    »Er will Euch vom Thron absetzen«, erklärte Cromwell dem König.
    Wie es schien, waren bereits Briefe an den König von Frankreich und an den Habsburger Kaiser gesandt worden. Sollte einer von ihnen, geschweige denn alle beiden Großmächte auf der Insel einfallen, dann bedeutete das für Heinrich trotz all seiner zur Schau gestellten Stärke größte Gefahr. Würden sie so etwas tun?
    »Sie könnten in Versuchung geraten«, urteilte Heinrich, »wenn sie zu der Meinung kommen, das Land sei gespalten und das Volk würde sie begrüßen.«
    »Was soll ich Eurem Wunsche nach tun?«
    Der König lächelte. »Wir müssen ihnen ein für allemal zeigen, wer in England der Herr ist.«
    An einem kalten, aber strahlenden Februartag kam Peter aus dem Charterhouse, um die Familie in Chelsea zu besuchen. Allein die Tatsache, daß Peter wieder in London war, hatte die Atmosphäre im Haus verändert. Susan spürte ein Gefühl der Sicherheit; Rowland schien fröhlicher. Und welche Zweifel sie auch immer wegen Thomas hegen mochte, so beschloß sie doch, sie zumindest bei dieser Gelegenheit beiseite zu schieben. »Wir veranstalten ein Familientreffen«, erklärte sie. »Thomas muß auch kommen.« Schon Tage zuvor bereitete sie im Haus geschäftig alles vor und sorgte dafür, daß alles blitzsauber war.
    Im Mittelpunkt der Feier dieses Tages sollte das gemeinsame Familienmahl stehen, bei dem, wie in jeder englischen Familie, die es sich leisten konnte, der Ehrenplatz dem großen Braten zukam. »Ein Schwan«, hatte Rowland bestimmt. Wohlhabenden Londonern war es erlaubt, sich eigene Schwäne an der Themse zu halten, und seit dem letzten Jahr war er stolzer Besitzer einiger Vögel.
    Peter kam mit dem Boot, und kaum war er auf die kleine Landungsbrücke gestiegen, hob er die Kinder nacheinander hoch. Er lächelte allen liebevoll zu, hakte seine Schwester unter und ging fröhlich mit ihr den Weg zum Haus hinauf.
    Zu Mittag versammelten sie sich alle um den großen Eichentisch. Susan empfand inniges Glück, als Peter einen einfachen Segen für sie sprach und Rowland den großen Schwan tranchierte. Während des ganzen Mahls erfreute Peter sie mit seinen Schilderungen über Rom und die anderen Stätten des Glaubens und der Heiligtümer, die er besichtigt hatte, darunter Assisi in Italien und Chartres in Frankreich. Sie saßen lange bei Tisch und unterhielten sich ungezwungen. Trotz allem, was die Zyniker am Hof oder die heimlichen Ketzer tun mochten, fand Peter doch stets ruhige, weise Worte, und plötzlich schienen selbst der König und die Suprematsakte weniger bedeutsam.
    Als es nachmittags dunkel wurde und sie die Kinder zum Spielen nach oben schickten, wandte Peter sich an Thomas und fragte mit einer Spur des Vorwurfs im Blick: »Nun, Thomas, ist das Gerücht, das wir im Charterhouse gehört haben, wahr?« Als er sah, daß Susan und Rowland nicht verstanden, erklärte er: »Der König und Minister Cromwell haben vor, sich eingehend mit uns zu befassen.«
    Es war ein logischer Schritt, und Peter erklärte ihn ganz einfach. »Heinrich will sicherstellen, daß er absoluter Herr im eigenen Haus ist. Die Suprematsakte ist vom Parlament verabschiedet und von

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