London
den Pforten gespeist worden. Nun gab es in London plötzlich Scharen von Bettlern, die von den Kirchsprengeln kaum mehr versorgt werden konnten. Die Aldermen wandten sich an Cromwell, der nicht anders konnte, als ihnen beizupflichten, daß etwas geschehen mußte.
Und da waren auch noch die Inhaber der Verkaufsstände. Was sollte aus den Leuten werden, die wie die Flemings vor den Pforten jedes Klosters in London mit all dem religiösen Kitsch und den Bildern gehandelt hatten, die man nun verurteilte? »Mit unserem Gewerbe ist es vorbei«, erklärte Mistress Fleming. Voll Bitterkeit bauten sie ihren Stand ab. Als sie ihren Handkarren nach Smithfield schoben, erwartete sie ein trauriger Anblick. Auf dem offenen Gelände war eine Menschenmenge zusammengeströmt. Ein seltsam aussehendes viereckiges Schafott war aufgebaut, unter das man Holz aufgeschichtet hatte. Die Gestalt eines älteren Mannes hing an Ketten an dem Gerüst, das Holz unter ihm wurde gerade angezündet. Nicht nur Statuen, Bilder und abergläubische Reliquien – auch einen alten Mann hatten die Reformatoren gefunden, den sie verbrannten.
Das Verbrechen Doktor Forests bestand darin, daß er der Beichtvater Königin Katharinas gewesen war. Halb vergessen hatte der nunmehr über Achtzigjährige einige Jahre im Gefängnis verbracht, bis irgend jemandem einfiel, daß man ihn verbrennen sollte, bevor er eines natürlichen Todes starb. Eine hochgewachsene, grimmige Gestalt mit grauem Bart rief dem alten Mann zu: »In welchem Glaubensstand wollt Ihr sterben, Doktor?«
Hugh Latimer, Gelehrter in Oxford und reformatorischer Prediger, war nun Bischof. Doktor Forest antwortete mutig: Selbst wenn die Engel beginnen würden, etwas anderes als die wahren Lehren der heiligen Kirche zu predigen, würde er ihnen nicht glauben. Auf diese Antwort hin gab Latimer zu verstehen, daß er verbrannt werden sollte. Doch statt des üblichen Feuers, in dem das Opfer schnell erstickte, entschied er, den alten Mann in Ketten über dem Scheiterhaufen hängen zu lassen, damit er unter stundenlangen Folterqualen einen langsamen Tod erlitt. Doch diesmal wurde es der Menge zuviel. Als die Flammen und der Rauch höher stiegen, stürmten ein paar kräftige Männer heran und stießen das Gerüst um, so daß der alte Mann nach ein oder zwei Minuten tot war.
Langsam gingen die Flemings weiter. »Welch ein Glück«, erklärte Mistress Fleming ihrem Mann, »daß mein Bruder Daniel auf der königlichen Barke gutes Geld verdient. Nun wird er für uns sorgen müssen.«
Zwanzig Meilen weiter östlich, in der alten Stadt Rochester in Kent, wo der Fluß Medway in die Themse fließt, wartete Susan. Thomas war vor einem Jahr auf den Gedanken gekommen, daß sie nach Rochester umziehen sollte, und sie war froh, in der alten Stadt eine angenehme Zuflucht gefunden zu haben, weit weg von den unglücklichen Szenen, die sie mit der Hauptstadt in Verbindung brachte. Auch die Kinder waren dort glücklich. In der einfachen Wohnung in der Nähe der Kathedrale hatte sie einen neuen Frieden gefunden.
Aber die Zusammenkunft am heutigen Vormittag stürzte sie in Zweifel. Thomas hatte darauf bestanden, und da er sich in den letzten Jahren so liebevoll um sie gekümmert hatte, war sie der Ansicht gewesen, es ihm nicht abschlagen zu können.
Er war vor ein paar Stunden hierher gekommen und hatte die Kinder zu einem langen Spaziergang abgeholt, so daß sie ihren Besucher allein empfangen konnte. Aber wollte sie Peter denn sehen? In den ersten Wochen nach Rowlands Tod hatte sie es nicht einmal ertragen können, Peters Namen zu hören. Als ihr zu Ohren kam, daß er London verlassen hatte und in den Norden gegangen war, war sie erleichtert. Ein- oder zweimal in den letzten beiden Jahren hatte sie überlegt, ihm zu schreiben, aber da sie nicht wußte, was sie ihm sagen sollte, hatte sie es gelassen. Und nun kam er zu Besuch. Alle Mönche in England waren nun heimatlos, da alle Klöster aufgelöst waren. Die meisten von ihnen erhielten eine Pension, manche waren Gemeindepfarrer geworden, manche hatten ihren Orden verlassen und sogar geheiratet.
»Ich werde ihn empfangen«, hatte sie Thomas schließlich gesagt, »aber ich kann ihn nicht bei mir aufnehmen.« Gegen Mitte des Vormittags klopfte es an der Tür; Schritte waren in dem kleinen Haus zu hören. Und dann sah sie ihren Gatten.
Wenige Menschen in Rochester schenkten der Familie Brown in den folgenden Jahren besonders Beachtung. Ihre Nachbarn erinnerten sich, daß
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