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London

London

Titel: London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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etwas leihen würden.
    Was für ein Glück, dachte Martha, daß diese respektable Mrs. Wheeler ein Auge auf ihren Gatten haben würde, während sie getrennt waren. Dogget hatte sie vor Jahren miteinander bekannt gemacht, als sie sich in Cheapside getroffen hatten. »Diese Lady kommt aus Virginia, Martha«, hatte er erklärt. Sie hatte erfahren, daß Mrs. Wheeler sich in Blackfriars niedergelassen hatte, und ein paar Tage später hatte sie bemerkt, wie Meredith sich höflich verbeugte, als sie vorbeiging. Die Lady mußte also achtbar sein, so wenig Martha Meredith auch mochte.
    Mrs. Wheeler war eine gute Zuhörerin. Wenn sie sprach, so immer vernünftig und zur Sache. Sie war eine Freundin der ganzen Familie geworden. Als Doggets kleinerer Sohn krank wurde, unterstützte sie Martha bei den Nachtwachen an seinem Bett. Als Marthas Tochter Schneiderin werden wollte, brachte ihr Mrs. Wheeler mit unerwartetem Geschick fast alles bei, was sie brauchte. Einmal, als Martha sie gefragt hatte, ob sie daran denke, wieder zu heiraten, hatte Mrs. Wheeler nur gelacht: »Ich komme gut ohne einen Mann aus.« – »Ein Ehemann bedeutet Pflichten«, stimmte Martha zu.
    Aber vor allem liebte sie es, mit Mrs. Wheeler über Amerika zu sprechen, denn dieses Thema konnte sie stundenlang beschäftigen. Immer wenn sie sich höflich einige Details aus Virginia angehört hatte, fragte sie: »Und was habt Ihr über Massachusetts gehört?« Das märchenhafte, gelobte Land. Der Traum von der gottesfürchtigen Gemeinde, der leuchtenden Stadt, war ihr nie aus dem Sinn gegangen. Und in den letzten Jahren sahen viele Engländer in diesem Traum nicht mehr nur eine Hoffnung, sondern eine erfreuliche Realität. Die Gründe dafür waren Laud und Winthrop.
    Erzbischof Laud hatte London mit jedem Jahr stärker unter seine Herrschaft gezwungen. Ein Kirchspiel nach dem anderen wurde auf Linie gebracht; viele Geistliche resignierten. Nicht nur das: Er war weltlich. Wenn er nach London gefahren kam, so zusammen mit einem Gefolge vornehmer Gentlemen, Lakaien ritten ihnen voraus. Er saß im Kronrat des Königs; er hatte die eigentliche Macht über die Schatzkammer. Doch selbst dieser weltliche Prunk schockierte Martha nicht so sehr wie sein Sakrileg.
    »Heiligt den Sabbat.« Jeder gute Puritaner tat das. Doch der König und sein Bischof erlaubten Sport und Spiele, die Ladys durften elegante Kleider tragen; einmal hatte Martha sogar junge Leute gesehen, die um einen Maibaum tanzten, und sich bei den Kirchenoberen beschwert. Niemand hatte sich darum gekümmert.
    Kein Wunder, daß sie und zahllose andere Puritaner sich nach einer Möglichkeit des Entkommens sehnten, wenn sie solche Frevel mit ansehen mußten, und Winthrop bot ihnen eine. Die Kolonie in Massachusetts wuchs stetig und noch schneller als die in Virginia. Mit jedem zurückkehrenden Schiff kam die Nachricht: »Es ist wirklich eine gottesfürchtige Gemeinde.«
    Martha sehnte sich danach zu gehen; 1634 waren bereits viele ihrer Freunde fort. 1636 sah sie in Wapping eine kleine Flottille, die nach Amerika aufbrach. Die tröpfelnde Emigration war zu einer Flut geworden. Laud und der König mochten denken, daß sie nur ein paar Unruhestifter verloren, aber tatsächlich brachten die Schiffe der Puritaner nicht weniger als zwei Prozent von Englands gesamter Bevölkerung an die Ostküste Amerikas.
    Manchmal sprach Martha ihre Familie darauf an, doch Dogget brummte, sie seien zu alt, obwohl sie beide erst in den Fünfzigern waren und wesentlich ältere Leute die Reise unternahmen. Doggets älterer Sohn, der die Berichte über den erstaunlich ertragreichen Kabeljaufang hörte, erklärte: »Wenn ihr geht, komme ich mit.« Die Person, die Martha zurückhielt, war Gideons Frau.
    Martha hatte immer versucht, das Mädchen zu lieben, konnte aber ein gewisses Gefühl der Enttäuschung nicht ganz überwinden. Gideons Frau hatte ihm nur Mädchen geschenkt. Mit monotoner Regelmäßigkeit kamen sie alle zwei Jahre. Getauft wurden sie auf die frommen Namen, die den Puritanern so gefielen. Zuerst Charity, dann Hope, dann Faith, dann Patience und schließlich Perseverance. Am schwierigsten zu ertragen war ihre Krankheit. Damit verhielt es sich seltsam. Sie schien immer dann auszubrechen, wenn Martha und Gideon das Thema Amerika ansprachen. Eines Tages bemerkte Mrs. Wheeler zu Martha: »Sie ist genau krank genug, um nicht zu reisen.«
    Dann gebar Gideons Frau zu jedermanns Überraschung Ende 1636 einen Jungen. Die Freude der

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