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London

London

Titel: London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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wie ein großes, schwarzes Band auf dem Boden aussah. Auf der Mauer waren keine Wachposten. Sie ging bis zur Ecke und schlich dann an der Nordmauer weiter. Sie kam an einem geschlossenen Tor vorbei und lief immer weiter. Dann sah sie endlich etwas, das ihr passend erschien.
    Der kleine Bach zwischen den beiden Hügeln der Stadt hatte in seinem Oberlauf mehrere Seitenarme. An drei oder vier Stellen flossen diese Bächlein unter der nördlichen Stadtmauer durch sorgfältig angelegte Rohre, vor deren Eingängen sich Gitter befanden. Diese Gitter wurden regelmäßig gesäubert, die Kanäle mit Schleppnetzen abgesucht. Hinter einem dieser Rohre hatte jemand einen Müllhaufen in den Graben vor der Mauer gekippt. Im Gegensatz zu den Kanälen wurde der Graben ihres Wissens nahezu nie gereinigt. Sie blieb stehen und blickte sich um. Zufrieden stellte sie fest, daß sie unbeobachtet war. Sie warf die Tasche in hohem Bogen in den Graben. Dann ging sie weiter bis zum nördlichen Haupttor, das weit offenstand, und schlüpfte unbemerkt wieder in die Stadt hinein.
    Julius starrte auf die lange Stadtmauer. Hilflos ließ er die Arme sinken und schüttelte den Kopf. Seine Suche war bislang ergebnislos verlaufen. Wo steckte nur das Geld? Er hatte sich gleich im Morgengrauen aufgemacht und noch immer nicht die geringste Ahnung, was seine Mutter damit angestellt hatte. Hatte seine Schwester ihn angelogen? Wohl nicht. Als er mitten in der Nacht an ihr Bett geschlichen war und ihr den Mund zugehalten und ein Messer an die Kehle gedrückt hatte, war sie verängstigt genug gewesen. Sie hatte gesagt, daß die Mutter die Tasche irgendwo außerhalb der westlichen Stadtmauer weggeworfen hatte, doch nun suchte er schon drei Stunden lang und hatte noch immer nicht den kleinsten Hinweis gefunden. Er war alle möglichen Orte abgelaufen, bevor er sich schließlich wieder auf den Heimweg machte. Die Stadt wurde allmählich munter. Bald würden sich die Leute ins Amphitheater drängen. Und er stand ohne Geld da. Und er hatte doch Martina ein Geschenk versprochen! Er seufzte. Aber was konnte er nun noch machen? Nichts. Außerdem war die ganze Angelegenheit zu riskant. Wahrscheinlich würde sie ohnehin nicht zur Brücke kommen. Er setzte sich auf einen Stein am Wegrand und grübelte noch ein Weilchen vor sich hin, bis langsam ein neuer Gedanke in seinem Kopf Gestalt anzunehmen begann.
    Wenn sie doch zur Brücke kommen würde? Sehr wahrscheinlich hatte sie den Brief versteckt. Vielleicht war der Kapitän völlig ahnungslos. Und wenn er dann nicht da wäre, um sie zu treffen? Er wollte sie besitzen, das war klar. Er stellte sich vor, wie sie da ganz alleine auf der Brücke stehen würde, und plötzlich schien die ganze Sache in ein wärmeres Licht getaucht zu sein. Er spürte, wie sein Herz schneller zu schlagen begann. Lächelnd machte er sich auf den Weg zum Stadttor.
    An diesem Morgen stand Martina früh auf. Sie bürstete ihr kurzes Haar, dann wusch sie sich und parfümierte sich sorgfältig. Vor dem Anziehen betrachtete sie noch einmal eingehend ihren Körper. Sie befühlte ihre kleinen, weichen Brüste, ließ ihre Hände an den festen Linien ihrer Beine entlangwandern. Dann zog sie sich zufrieden an. Sie schlüpfte in ein neues Paar Sandalen, steckte sich noch eine kleine Bronzebrosche an jede Schulter und bemerkte dabei, wie ihr Herz zu flattern begann. Heute würde sie sich Julius hingeben.
    Nachdem sie noch einige kleine Kuchen in ein Tuch eingewickelt hatte, trat sie aus dem Haus und gesellte sich zu den Nachbarn, die schon zu den Spielen unterwegs waren.
    Wie sonderbar, die Stadt fast ganz für sich allein zu haben! Am Vormittag schien es, als sei die gesamte Bevölkerung zu den Spielen gegangen. Ab und zu hörte Julius ein Gröhlen aus dem Amphitheater, doch abgesehen davon war es in den Straßen so still, daß er die Vögel singen hörte.
    Fröhlich streifte er mit aufmerksamem Blick durch die Gassen und ging die Pflasterstraßen entlang, vorbei an den stattlichen Häusern der Reichen. Er würde Martina zu Mittag treffen, und er hatte ihr ein Geschenk versprochen. Und weil er ihr nicht mit leeren Händen gegenübertreten wollte, mußte er etwas stehlen.
    Nahezu alle Bewohner der Stadt waren im Amphitheater. Er würde einfach rasch in ein unbewachtes Haus hineinschlüpfen und etwas nehmen, was der jungen Frau gefallen würde. Das Stehlen behagte ihm zwar überhaupt nicht, doch momentan schien er keine andere Wahl zu haben.
    Doch die Sache war

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