London
schwieriger, als er gedacht hatte. Er drang in ein paar einfachere Häuser ein, fand jedoch nichts, was ihm gefiel. In den reicheren Häusern schienen sich stets ältere Diener oder schreckliche Wachhunde herumzutreiben. Als er wieder zur breiten Straße kam, die zum Forum führte, machte er sich allmählich mit dem Gedanken vertraut, vielleicht doch ohne Geschenk auskommen zu müssen. Dann ging er, ohne recht zu überlegen, zum Statthalterpalast. Vor dem Eingang stand ein Wächter. Ansonsten war die Straße leer.
Der Palast des Statthalters war ein öffentliches Gebäude, und abgesehen von dem Posten am Tor hatte sich wohl die gesamte Belegschaft zu den Spielen davongeschlichen. Wenn mich jemand dort drinnen ertappen würde, dachte Julius, könnte ich doch einfach sagen, ich wollte dem Statthalter ein Anliegen vortragen. Wer würde denn schon daran denken, daß jemand den Statthalter persönlich bestehlen wollte? Er betrat eine kleine Seitengasse, um sich das Ganze noch einmal gründlich durch den Kopf gehen zu lassen.
Die der Straße zugewandte Fassade des Palastes bestand aus Kieselsandstein. Dort befand sich das Eingangstor, das zu einem großen Innenhof führte. Vor dem Tor stand auf einem Marmorsockel ein fast mannshoher, schmaler Stein. Von diesem Stein aus wurden die Wegstrecken in Südbritannien berechnet und auf allen Meilensteinen eingetragen. Der Wachposten stand vor dem Stein, doch ab und zu marschierte er langsam die leere Straße hinauf, wandte sich um und kehrte wieder zu seinem Ausgangspunkt zurück. Er ging immer genau fünfundzwanzig Schritte in die eine Richtung, hielt kurz inne und ging dann die fünfundzwanzig Schritte wieder zurück. Julius beobachtete das Ganze sicherheitshalber dreimal. Er maß sorgfältig seine eigenen Schritte ab. Er würde gerade genug Zeit haben.
Als der Posten sich das nächste Mal in Bewegung setzte und Julius dabei den Rücken zuwandte, sprang dieser auf und rannte schnell und leise zu dem Stein, den er als Deckung benutzte. Kurz bevor der Posten wieder an seinem Ausgangspunkt war, hatte Julius sich schon in den Schatten des Eingangstors geduckt und war in den Innenhof geschlüpft. An der gegenüberliegenden Seite befand sich unter einem Portikus der Haupteingang zu den Wohnräumen. Er stand offen. Julius ging kühn hinein und fand sich in einer anderen Welt wieder.
Wohl kaum eine andere Kultur hat jemals so schöne Häuser für ihre reichen Bürger geschaffen wie die römische. Die Villa des Statthalters war ein herrliches Beispiel dafür. Das hohe, kühle Atrium mit seinem Wasserbecken strahlte vornehme Beschaulichkeit aus. Eine ausgeklügelte Fußbodenheizung – das Hypokaustum – hielt das Haus im Winter warm. Im Sommer war es jedoch in dem aus Stein und Marmor errichteten Gebäude kühl und luftig. Wie in vielen besseren Häusern in Londinium waren in vielen Fußböden wunderbare Mosaike eingelegt; das eine zeigte Bacchus, den Gott des Weines, ein anderes einen Löwen; eine Wand war mit anmutig schwimmenden Delphinen, eine andere mit verflochtenen geometrischen Mustern verziert.
Nachdem Julius kurz die prächtigen Haupträume bewundert hatte, ging er rasch zu den kleineren Zimmern, deren Wände überwiegend in Ocker, Rot und Grün gehalten waren. Insgesamt zwar schlichter, waren sie doch immer noch sehr hübsch.
Julius wußte genau, wonach er suchte. Das Geschenk mußte klein sein. Es würde nur zu unangenehmen Fragen führen, wenn die Frau des Kapitäns mit einem wertvollen Schmuckstück gesehen werden würde.
In einem der Schlafzimmer sah er auf einem Tisch einen Spiegel aus polierter Bronze, ein paar silberne Bürsten und drei mit Edelsteinen besetzte Broschen sowie eine wunderschöne goldene Halskette mit großen, ungeschliffenen Smaragden. Julius war kurz versucht, die Kette zu stehlen. Die Smaragde würde er natürlich nie loswerden können, denn sie waren viel zu auffällig, aber er könnte das Gold schmelzen. Doch dann legte er die Kette wieder zurück. Es wäre einfach zu schade gewesen, solch ein wunderschönes Schmuckstück zu zerstören. Neben der Kette lag genau das, was er suchte: ein schlichtes goldenes Armband ohne irgendwelche Auffälligkeiten. Es mußte Tausende solcher Armbänder in Londinium geben. Er hob es auf und schlich rasch wieder aus dem Zimmer.
Immer an der Wand entlang, huschte er zurück zum Eingang. Er sah den Rücken des Wachpostens, der an dem Stein lehnte. Er wartete, bis sich der Mann wieder auf seinen Weg machte, dann
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