London
arbeiten.
Ralph Silversleeves achtete nicht auf die herumstehenden Leute, unter denen sich auch Alfred, der Waffenschmied, befand. Alfred hatte den Auftrag, die großen Eisengitter über dem Abfluß und dem Brunnen herzustellen, und nun wollte er Maß nehmen.
Er hatte gesehen und gehört, wie Ralph mit dem ernsten kleinen Burschen umgesprungen war. Nachdem Ralph weg war, ging er zum Tunneleingang.
Am Boden lag das kleine Beispiel für Osrics Handwerkskunst, das ihm aus der Hand gefallen war. Alfred hob es nachdenklich auf.
An diesem Abend führte er ein langes Gespräch mit Osric, und anschließend berichtete er seinem Freund, dem Dänen: »Ich glaube, ich habe denjenigen gefunden, den wir brauchen.«
»Kann man ihm vertrauen?«
»Ich denke schon. Er sinnt nämlich auf Rache.«
Rache ist süß. Der Plan war zwar nicht ungefährlich, doch Osric war zuversichtlich. Heimlich schlich er sich nachts aus der Unterkunft der Arbeiter zu dem nahe gelegenen Haus des Dänen. Dort arbeiteten er und Alfred dann in einem an der Rückseite des Hauses gelegenen Lagerraum.
Ihre Aufgabe bestand darin, einen großen Karren so umzubauen, daß darin Waffen versteckt werden konnten, und Osric war tatsächlich etwas Geschickteres eingefallen, als einfach einen doppelten Boden herzustellen; danach wurde schließlich bei einer Kontrolle immer als erstes gesucht. Er hatte sich die soliden Balken vorgenommen, aus denen der Rahmen des Karrens bestand. Diese hatte er ausgehöhlt und dabei ihr äußeres Erscheinungsbild mit hölzernen Riegeln und verschiebbaren Verkleidungen bestmöglichst beibehalten. Nun konnte eine beachtliche Menge an Schwertern, Speerköpfen und Pfeilspitzen in diesen Balken verstaut werden, ohne daß man von außen etwas bemerkte.
»Der Karren selbst besteht aus Waffen!« rief Barnikel erfreut und drückte den kleinen Zimmerer so fest an sich, daß Osric fast die Luft ausging.
In der nächsten Woche sollte die erste Ladung transportiert werden.
Zwei Tage darauf lief Hilda zufällig Ralph über den Weg, und zwar auf dem Hügel vom Ludgate nach St. Paul's. Hilda hatte ausgesprochen schlechte Laune. Der Grund dafür war eine Stickerei.
In König Wilhelms England wurde das wahrscheinlich größte, berühmteste Stickkunstwerk aller Zeiten geschaffen. Der Teppich von Bayeux, wie dieses außergewöhnliche Werk heißen sollte, wurde nicht gewebt, sondern gestickt, und zwar mit farbiger Wolle auf Leinen, wie es die Angelsachsen seit langer Zeit zu tun pflegten. Er war nur fünfzig Zentimeter breit, doch erstaunliche siebenundsiebzig Meter lang. Darauf abgebildet waren um die sechshundert Menschen, siebenunddreißig Schiffe, ebenso viele Bäume und siebenhundert Tiere. Mit diesem Kunstwerk sollte die ruhmreiche normannische Eroberung gefeiert werden – wohl das erste bekannte Beispiel für Staatspropaganda.
Die stilisierten Figuren zeigten in vielen verschiedenen Szenen die Version des normannischen Königs von den Ereignissen, die zur Eroberung geführt hatten, und lieferten einen detaillierten Bericht von der Schlacht bei Hastings. Das Werk war von Odo, dem Halbbruder des Königs, in Auftrag gegeben worden. Er war zwar Bischof der normannischen Stadt Bayeux, doch auch Soldat und Administrator und ebenso skrupellos wie der König. Englische Frauen, überwiegend aus Kent, stickten die einzelnen Teile dieses Werkes, die am Schluß zusammengenäht wurden.
Hilda hatte guten Grund, erzürnt zu sein. Sie hatte nicht mitarbeiten wollen, doch Henri hatte sie gezwungen, sich zu den Damen zu gesellen, die sich immer in der Königshalle in Westminster trafen, um an dem Projekt zu arbeiten. »Bischof Odo wird sich darüber freuen!« hatte er gesagt, obwohl es doch Odo war, dem halb Kent übereignet worden war, und einer von Odos Rittern, der nun auf ihrem alten Familiensitz in Bocton saß. Henri wußte dies, aber es war ihm gleichgültig. Die Stickerei erinnerte sie immer wieder schmerzlich an den Verlust ihres alten Heims und an die langen Jahre, die sie sich ihrem kalten, zynischen Gatten untergeordnet hatte.
Als sie an diesem Morgen von den Damen in Westminster zurückkehrte, war Hilda noch immer wütend. Und dann sah sie Ralph.
Er war aufgeregt. Seine normalerweise stumpfen Augen glänzten, als er sich, ohne daß sie ihn darum gebeten hätte, zu ihr gesellte. »Soll ich dir ein Geheimnis verraten?« fing er an.
Manchmal tat er ihr leid, zum Teil schon deshalb, weil Henri ihn verachtete, zum Teil auch deshalb, weil er noch
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