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London

London

Titel: London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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immer keine Frau gefunden hatte. Gelegentlich stattete er den am Südufer lebenden Huren einen Besuch ab, doch selbst diese Damen, so hieß es, waren nicht besonders begeistert über seine dumpfen Aufmerksamkeiten. Ab und zu hatte sie ihrem Mann vorgeschlagen, eine Frau für ihn zu suchen, doch Henri hatte nur gemeint: »Dann werden sie Erben haben, mit denen wir teilen müssen. Ich kümmere mich um das Vermögen der Familie. Und ich beabsichtige, länger zu leben als er.«
    Ralph mochte Hilda. »Ich bin nicht so blöd, wie Henri immer denkt«, hatte er ihr einmal anvertraut. Nun konnte er der Gelegenheit nicht widerstehen, sie zu beeindrucken. »Ich habe einen wichtigen Auftrag erhalten!« prahlte er.
    Das Gespräch zwischen Ralph und Mandeville war kurz, aber bedeutungsvoll gewesen. Der große Magnat war stets bestens informiert; nur wenig, was in Südostengland vorging, entging seiner Aufmerksamkeit. Ralph erfuhr, daß man befürchtete, daß es auf dem Land zu neuen Unruhen kommen könnte. »Bei dem Aufstand vor drei Jahren«, hatte Mandeville ihm mitgeteilt, »müssen sie unserer Meinung nach Waffen aus London erhalten haben. Dem wollen wir ein Ende setzen.«
    Mandeville hatte beschlossen, daß er für die kleine Operation, die ihm vorschwebte, einen Mann brauchte, der mißtrauisch, nicht besonders klug und skrupellos war. »Ihr werdet eine hervorragende Gelegenheit haben zu zeigen, was in Euch steckt. Ihr werdet geduldig sein müssen, und Ihr werdet Spione brauchen.«
    »Ich werde jeden Karren, der London verläßt, in Stücke zerlegen«, rief Ralph.
    »Eben dies werdet Ihr nicht tun«, erwiderte Mandeville. »Ihr sollt vielmehr nachlässiger sein bei der Begutachtung der Güter, die die Stadt verlassen. Der Trick besteht ja gerade darin, daß sich die Burschen in Sicherheit wiegen. Laßt Posten im Wald aufstellen und jegliche verdächtige Ladung heimlich verfolgen. Ich will, daß sie uns direkt zu den Rebellen führen. Und vor allem sagt niemandem etwas davon! Habt Ihr das verstanden?«
    Ralph hatte verstanden. Eine Vertrauensstellung. Eine geheime Mission. Mit stolzgeschwellter Brust flanierte Ralph durch die Stadt. Als er nun Hilda sah, auf die er gern einen guten Eindruck machen wollte, beschloß er sofort: »Dir kann ich es ja erzählen, du gehörst zur Familie.«
    Als Hilda nun auf sein Gesicht blickte, das dem ihres Mannes so ähnelte, wenngleich es brutalere Züge aufwies, dachte sie nur an die Engländer, ihre Leute, denen er eine Falle stellen und die er zweifellos auch umbringen würde, und verspürte eine starke Abneigung. Sie merkte, daß ihr alle immer verhaßter wurden, Henri, Ralph, die Normannen, deren Herrschaft. Natürlich konnte sie nichts dagegen tun, nichts bis auf eines.
    »Da kannst du ja wirklich stolz sein«, sagte sie und wandte sich von Ralph ab.
    Sie sollte in der nächsten Woche zum Landsitz ihres Schwiegervaters nach Hatefield aufbrechen und dort einen Monat bleiben. Es war eine Aussicht, auf die sie sich nicht besonders freute, und deshalb hatte sie noch für diesen Abend einen Spaziergang mit Barnikel vereinbart, denn sie wußte, es würde für eine Weile der letzte sein.
    So trafen sie sich also bei St. Bride's und begannen ihren üblichen Weg Richtung Aldwych, und sie vertraute ihm leise alles an, was Ralph ihr erzählt hatte. »Ich weiß, daß du kein Normannenfreund bist«, setzte sie abschließend hinzu. »Würdest du also diejenigen warnen, die gewarnt werden sollten, falls du weißt, um welche Leute es sich dabei handelt?«
    Da sah sie, wie verstört Barnikel ob dieser Neuigkeiten war, und erriet sofort, daß er tiefer in die Sache verwickelt war, als sie gedacht hatte. Sie legte eine Hand auf seinen Arm und fragte ihn leise: »Kann ich irgend etwas tun, um dir zu helfen?«
    Zehn Tage nach seinem Treffen mit Mandeville ritt Ralph Silversleeves zusammen mit einem Dutzend bewaffneter Männer äußerst frustriert aus dem Wald von Middlesex heraus Richtung Süden. Er kam von einem Treffen mit seinen Leuten. Seine Spione hatten nichts gefunden. »Vielleicht sind sie gewarnt worden«, hatte einer von ihnen gemeint. Und ein weiterer hatte ihn gefragt: »Seid Ihr sicher, daß Ihr das Richtige tut?« Diesen Burschen hatte er in seiner Wut geohrfeigt.
    Er ritt zurück mit dem untrüglichen Gefühl, daß man sich einen Scherz mit ihm erlaubt hatte. Selbst seinen eigenen Spionen gegenüber keimte Argwohn in ihm auf.
    Dann sah er den Karren. An diesem Wagen war offensichtlich etwas

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