Londons Albtraum-Nächte
jedoch ist ihr Verhalten ein anderes. Hier kamen sie mir so vor, als wären sie nicht mehr Herr ihrer eigenen Taten. Sie haben sich verhalten wie unter einem Befehl stehend. Als hätte ihnen jemand gesagt, was zu tun sei. Wann sie gehen dürfen und wann nicht. Das meine ich, und dabei bleibe ich.«
»Dann gibt es ihrer Meinung nach jemanden, der sie leitet – oder?«
»Das haben Sie gesagt, Suko.«
»So meine ich das auch.«
»Aber wer sollte es tun? Ratten kann man dressieren, ich denke da an Zuchtratten. Aber wir sind hier nicht im Zirkus. Und wie Zuchtratten sahen sie nicht eben aus. Die kenne ich. Nein, nein, das waren schon wilde und frei in der Natur lebende Tiere.«
Die nächste Frage stellte ich. »Wohin sind die Ratten dann verschwunden? Haben Sie das gesehen?«
»Nein. Ich... ich... war zu sehr durcheinander. Ich bin in meine Wohnung geflüchtet und habe die Polizei angerufen. Mehr konnte ich wirklich nicht tun.«
»Und einen Mord hat es hier zum ersten Mal gegeben?«
»Ja, Mr. Sinclair.«
»Haben Sie denn eine Ahnung, wer die Frau umgebracht haben könnte? Die Ratten sind es wohl nicht gewesen.«
»Nein.«
»Sondern?«
»Fragen Sie nicht so«, flüsterte er, »ich weiß es nicht. Ich habe nicht die geringste Ahnung. Ich habe niemanden ins Haus kommen sehen. Die Kollegen wollen ja die Bewohner befragen, aber das wird auch nichts bringen, denke ich mir. So weit ich mich erinnern kann, war das Haus hier nicht nur ruhig, sondern totenstill. Der Killer kann sich schon tagsüber eingeschlichen haben. Er hat sich dann versteckt, um schließlich den günstigsten Zeitpunkt abzuwarten, wo er zugeschlagen hat. So müsste es gewesen sein.« Er raufte seine Haare mit beiden Händen. »Aber auch das ist Theorie.«
Ich nickte ihm zu, um ihm Recht zu geben. Danach fuhr ich mit leiser Stimme fort. »Mein Kollege und ich sind Polizisten, Mr. Brixon. Und wir wissen aus leidvoller Erfahrung, dass nichts ohne Motiv geschieht. Es steckt immer etwas dahinter, das weiß ich genau. Ich gehe davon aus, dass es sich bei diesem Mord ebenso verhält.«
Er hatte mitgedacht, denn er sagte: »Es tut mir Leid, aber so gut kannte ich Linda Perth nicht. Sie lebte hier allein. Sie war eine ruhige Mieterin. Mit ihr gab es keinen Stress.«
»Sonst wissen Sie nichts von ihr?«, fragte ich.
»Kaum. Sie hat mir mal erzählt, dass sie am Theater arbeitet. Mehr weiß ich nicht.«
»Als Schauspielerin?!«
»Ha, nein, bestimmt nicht. Wäre es das gewesen, hätte sie es mir gesagt. Ich denke, dass sie eine Mitarbeiterin gewesen ist. Garderobenfrau oder so. Und ich wollte auch Rattengift holen, um die Brut auszurotten.«
»Haben Sie das hier?«
»Ja, es ist nicht das erste Mal, dass ich Ratten jage. Es tauchen immer wieder welche auf, aber nicht im Rudel wie in diesem Fall.«
Suko hatte eine Frage. »Kennen Sie jemanden, der sich mit Ratten beschäftigt. Oder sie sogar züchtet?«
»Nein.«
»Überlegen Sie?«
Er schüttelte den Kopf. »Ich kenne wirklich keinen Menschen, der so etwas tut. Wer beschäftigt sich schon mit Ratten? Der muss doch nicht alle Tassen im Schrank haben.«
»Es gibt Menschen, die kommen gut mit ihnen aus, wenn sie dressiert sind.«
»Das glaube ich sogar.«
»Okay, wenn Sie nicht gesehen haben, wohin sich die Ratten verkrochen oder geflüchtet haben, dann werden Sie uns leider nicht mehr weiterhelfen können... Oder fällt Ihnen vielleicht ein Versteck in diesem verschachtelten Wirrwarr aus Häusern ein.«
»Eins?« Er musste lachen. »Ich könnte Ihnen gleich ein halbes Dutzend nennen.«
»Wie das?«
Der Hausmeister schlug mit seinen Händen auf den Tisch. »Das Haus ist alt, verdammt alt sogar. Eine Bausubstanz aus den Anfängen des letzten Jahrhunderts. Im Laufe der Zeit hat man immer wieder etwas angebaut oder dazugestückelt, denn einen echten Baustil gibt es hier nicht. Es gibt noch Hinterhäuser in Hinterhöfen, also zahlreiche Verstecke nicht nur für Ratten. Die allerdings werden sich die Wege in die Kanalisation gesucht haben, denn die sind recht leicht zu finden. Das sind noch die uralten Schächte. Offiziell sind sie zwar geschlossen, aber Lücken gibt es immer wieder. Besonders für Ratten.«
»Dann kann man davon ausgehen, dass sie von dort hergekommen sind?«
»Unter Umständen. Ich weiß allerdings nicht, warum sie zu der Toten gehuscht sind. Vielleicht wollten sie ja das Blut von den Wunden lecken. Er winkte ab. »Aber das will ich alles gar nicht wissen. Es ist sowieso schon
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