Londons Albtraum-Nächte
Balkone. Sie waren in das Mauerwerk hineingelassen und standen nicht davon ab. In der unteren Hälfte waren sie vergittert, was Suko bei seiner Kletterei natürlich sehr gelegen kam. Er hatte etwas, an dem er sich festhalten konnte, auch wenn die Stangen vom Regen nicht nur nass, sondern auch glatt geworden waren.
Er kam hoch. Stellte sich auf den Rand des ersten Balkons und streckte seinen Körper, um den Sims des zweiten zu erreichen. Auch das schaffte er leicht. Dass sich hinter den Scheiben der Balkonfenster Menschen bewegten, störte ihn nicht. Bevor sie reagierten, war er schon wieder ein Stück in die Höhe geklettert.
Suko brauchte nur an zwei Balkonen hochzuklettern. Das Licht hatte er hinter dem Fenster einer Dachgaube gesehen, die recht weit nach vom gebaut worden war.
Dort musste er hingelangen, was sich nicht als einfach herausstellte. Es ging nur über die Dachrinne, die Suko zu fassen bekam, ehe er auf dem Geländer des letzten Balkons stand und sich streckte. So hoch wie möglich reckte er seine Arme, bekam die Rinne auch mit den Fingerspitzen zu fassen und prüfte, ob sie seinem Gewicht standhalten würde.
Den Zug nach unten hielt sie aus. Das gab keine Probleme. Suko setzte noch mehr Kraft ein. Das Ding bog sich ihm entgegen, aber es würde halten, das sah er schon.
Der Klimmzug folgte. Die Beine lösten sich von der schmalen Unterlage. Dann schwebte Suko zwischen Himmel und Erde. Sein Gesicht war vor Anstrengung verzerrt. Das gesamte Gewicht hing an den Fingerspitzen. Nur mühsam hielt er sich, denn auch die Rinne bog sich leicht nach unten. Über seine Hände schäumte das Regenwasser und klatschte in sein Gesicht.
Suko war ein Kämpfer; er dachte nicht daran, aufzugeben. Er hangelte sich Stück für Stück höher, und er schaffte es schon bald, über die Rinne hinweg auf das Dach zu schauen.
Dunkle Pfannen. Nass und auch glänzend. Als wäre eine schräge Spiegelfläche mit Öl eingerieben worden.
Suko wühlte sich förmlich über die Rinne hinweg und lag danach auf dem Dach.
Da blieb er liegen.
Erschöpft, und sein Gesicht zeigte noch immer den verbissenen Ausdruck. Er konnte sich nicht lange ausruhen, er musste weitergehen, denn er wollte Gewissheit haben.
Der Regen klatschte ihm auf den Rücken. Das Haar war ebenfalls völlig durchnässt, und nur die Lederjacke ließ das Wasser abtropfen. Er drehte sich herum, und das tat er sehr vorsichtig, denn eine falsche Bewegung konnte ihn sehr schnell nach unten befördern.
Er war gut geklettert und hatte auch die Richtung beibehalten. Nach der Drehung lag er noch immer flach auf dem Dach, nur schaute er jetzt nach oben und sah direkt über sich die vorstehende Gaube. Bis dort musste er sich hangeln. Erst dann konnte er den Blick durch die Scheibe werfen und herausfinden, ob er sich getäuscht hatte oder nicht.
Auf dem Bauch blieb Suko liegen. Die Arme hatte er nach vorn gestreckt, die Beine etwas gespreizt, damit der Halt besser war.
Suko schlängelte sich dem Ziel immer näher, ohne wieder nach hinten abzurutschen.
Er spürte den Regen nicht mehr. Er merkte nicht die kratzigen Dachpfannen unter seinem Körper.
Das gelbliche Licht sickerte aus dem Fenster.
Er wurde noch vorsichtiger. Wenn jetzt jemand durch das Fenster schaute, sah es alles andere als gut für ihn aus.
Noch ein Stück...
Geschafft!
Jetzt brauchte er nur den Kopf anzuheben, um in den Raum blicken zu können.
Er tat es – und sah die Gestalt innen auf der Fensterbank.
Es war eine Ratte!
Möglicherweise hatte sie sich ebenso erschreckt wie Suko. Das Tier floh mit einem Sprung dem Fußboden entgegen, so dass Suko einen freien Blick in den Raum bekam.
Was er sah, war grauenhaft und ließ ihn daran zweifeln, ob er überhaupt noch rechtzeitig genug gekommen war...
***
Mary Sanders hatte das Wesen nicht gesehen. Sie wusste nur, dass sich etwas verändert hatte. Die Ratten auf ihrem Körper bewegten sich nicht weiter.
Sie hörte schwere und zugleich gleitende Schritte. Sie kamen näher, sie stoppten dann nicht weit von ihr entfernt, und Mary hielt den Atem an.
Es war plötzlich sehr still geworden. Sie hätte alles hören können, doch sie hörte nichts.
Die Ratten blieben. Sie taten ihr nichts. Sie hockten auf ihrem Rücken und schienen zu warten, dass sich etwas veränderte, und auch ihre so typischen Geräusche waren nicht zu hören.
Mary schrak zusammen, als sie plötzlich den Druck auf ihrer Schulter spürte.
Eine Hand?
Der Gedanke ließ Mary nicht los.
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