Long Dark Night
Kunstharz ins Kurbelwellengehäuse getan haben könnte?«
»Nein.«
»Oder die Waffe gestohlen hat?«
»Ja. Jemand von der verdammten Tankstelle.«
»Eine letzte Frage«, sagte Carella. »Wo waren Sie heute abend zwischen zehn Uhr und Mitternacht?«
»Jetzt geht’s los«, sagte Pratt und verdrehte die Augen.
»Wo waren Sie?« fragte Carella erneut.
»Hier.«
»War jemand bei Ihnen?«
»Meine Frau. Wollen Sie sie auch noch aufwecken?«
»Müssen wir das?« fragte Carella.
»Sie wird es Ihnen bestätigen.«
»Da gehe ich jede Wette ein.«
Pratt sah ihn wieder wütend an.
»Lassen Sie sie schlafen«, sagte Carella.
Pratt sah ihn an.
»Ich glaube, wir sind hier fertig. Entschuldigen Sie bitte, daß wir Sie belästigt haben. Cotton? Hast du noch was?«
»Eine Frage noch«, sagte Hawes. »Wissen Sie, wer Ihren Wagen repariert hat?«
»Ja, ein Typ namens Gus. Er hat das Auftragsformular unterschrieben, war aber nicht da, als ich den Wagen gestern abholte.«
»Wissen Sie, ob der Geschäftsführer ihn nach der Waffe gefragt hat?«
»Er hat’s zumindest behauptet.«
»Und wie heißt er?«
»Der Geschäftsführer? Jimmy.«
»Jimmy und weiter?«
»Keine Ahnung.«
»Was ist mit dem Geschäftsführer der Nachtschicht? Mit dem, dem Sie den Wagen übergeben haben?«
»Ralph. Den Nachnamen kenne ich nicht. Sie haben ihre Namen vorn auf den Overalls eingestickt. Aber nur die Vornamen.«
»Danke«, sagte Hawes. »Gute Nacht, Sir. Tut uns leid, daß wir Sie belästigt haben.«
»Hm«, machte Pratt verdrossen.
Draußen auf dem Hausflur sagte Carella: »Jetzt wird es also die Geschichte einer Waffe.«
»Wie in Winchester 73. Den Film hab ich auch gesehen«, sagte Hawes.
Die Bridge Texaco lag im Schatten der Majesta Bridge, die zwei der bevölkerungsreichsten Teile der Stadt miteinander verband und an beiden Enden für gewaltige Verkehrsstaus sorgte. Hier in Isola - so benannt, da der Stadtteil eine Insel ist und Insel auf Italienisch »Isola« heißt - waren die Neben- und Hauptstraßen, die zur Brücke führten, von sechs Uhr abends bis Mitternacht mit Taxis, Lastwagen und Pkws verstopft. Erst dann beruhigte sich die Verkehrslage ein wenig. Als die Detectives um halb vier morgens dort ankamen, hätte niemand vermutet, daß die Straßen noch ein paar Stunden zuvor von dem Lärm von Hupen und unflätigen Schimpfwörtern erfüllt waren, weil mitten auf der Brücke ein Lastwagen liegengeblieben war.
Es gab zwei städtische Verordnungen - beide ließen sich lediglich mit Bußgeldern durchsetzen -, denen zufolge das Betätigen einer Hupe ohne Grund strafbar war. Ebenso stellte Fluchen in der Öffentlichkeit eine Ordnungswidrigkeit dar. Das regelte Paragraph 240.20 des Strafgesetzbuchs, der sich mit »ungebührlichem Verhalten« beschäftigte. Er lautete: »Man macht sich des ungebührlichen Verhaltens schuldig, wenn man die öffentliche Ordnung stört oder die Öffentlichkeit aufbringt oder beunruhigt, indem man eine beleidigende oder obszöne Sprache benutzt oder eine obszöne Geste macht. Ein Vergehen liegt bereits vor, wenn man unbesonnen oder rücksichtslos die bloße Möglichkeit zu einer solchen Störung schafft.« Ungebührliches Verhalten war lediglich eine Ordnungswidrigkeit, die mit höchstens vierzehn Tagen Gefängnis geahndet werden konnte. Die beiden Verordnungen und das Strafgesetzbuch definierten die Zivilisation.
Vielleicht hatte sich deshalb ein uniformierter Cop an der Straßenecke lediglich am Arsch gekratzt, als um Mitternacht ein wütender Autofahrer pausenlos auf die Hupe drückte und »Nun mach doch schon, du verdammter Schwanzlutscher!« rief.
Jetzt, um halb vier morgens, drückte niemand mehr auf die Hupe, und der Wind hatte das unflätige Fluchen verweht. Für die beiden Detectives gab es nur die bittere Januarkälte, die die Straße beherrschte, und die Tankstelle mit ihrer Neonbeleuchtung, die den Frost des Winters zurückzuweisen schien. An einer der Zapfsäulen stand ein gelbes Taxi. Der Fahrer, der zum Schutz gegen die Kälte die Schultern gekrümmt hatte und von einem Fuß auf den anderen wippte, füllte gerade den Tank. Die getäfelten Türen der Werkstatt waren geschlossen, um die kalte Luft fernzuhalten. In dem hell erleuchteten Büro der Tankstelle saß ein Mann, der eine braune Uniform und eine ebensolche Schirmmütze trug. Er hatte die Füße auf den Schreibtisch gelegt und blätterte in einer Penthouse- Ausgabe. Als die Detectives hereinkamen, blickte er auf. Vorn
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