Long Dark Night
in ihre nicht als Polizeifahrzeug gekennzeichnete, dunkelblaue Limousine stiegen. Ein weißer Jaguar hielt neben ihr am Bordstein an. Das Fenster der Beifahrertür glitt geräuschlos hinab. Die Ampel badete den Wagen, den Bürgersteig und Yolande in rotes Licht. Sie wartete, bis sie eine Abgaswolke aus dem Auspuff der dunklen Limousine an der Tankstelle quellen sah. Dann beugte sie sich in das Fenster des Wagens am Bordstein und lächelte. »He, hallo«, sagte sie. »Willst du einen draufmachen?«
»Wieviel?« fragte der Fahrer.
Die umspringende Ampel tauchte plötzlich alles in grünes Licht.
Einen Augenblick später fuhren die beiden Wagen in entgegengesetzte Richtungen davon. Die Nacht war noch jung.
Sie fanden Gus Mondalvo in einem Underground-Club in einem hauptsächlich von Hispanos bewohnten Bezirk von Riverhead. Es war jetzt kurz nach vier Uhr morgens. Seine Mutter, die sich trotz ihrer wiederholten Erklärung, Polizisten zu sein, weigerte, die Wohnungstür zu öffnen, verriet ihnen immerhin, daß sie ihren Sohn im Club Fajardo finden könnten, »die Straße rauf«, und dort waren sie jetzt und versuchten, den schwergewichtigen Mann, der die mit einer Kette gesicherte Tür öffnete, zu überzeugen, daß sie keine Razzia durchführen wollten.
Der Mann protestierte auf spanisch, daß sie sowieso keinen Schnaps ausschenken würden, weshalb also eine Razzia? Das sei nur ein kleiner, freundlicher Club für geselliges Beisammensein, und sie feierten eine kleine Party, sie könnten ja reinkommen und sich selbst davon überzeugen, alldieweil die belastenden Flaschen und Gläser von den Tischen und aus den Barfächern weggeräumt wurden. Als er etwa fünf Minuten später endlich die Kette herunternahm, hätte man glauben können, es handele sich um den Eissalon um die Ecke, in dem sich die Teenager aus dem Viertel trafen, und nicht um einen Schuppen, in dem nach der Sperrstunde Schnaps an Gäste verkauft wurde, zu denen auch Minderjährige gehörten. Der Mann, der sie hereinließ, sagte ihnen, Gus Mondalvo säße an der Theke und würde was trinken…
»Aber nichts Alkoholisches«, fügte er schnell hinzu.
… und führte sie zu ihm. In der Ecke neben der Bar stand noch ein Weihnachtsbaum, mit Schmuck überladen und kaum weniger dezent beleuchtet. Die Detectives bahnten sich den Weg über eine kleine Tanzfläche, auf der Teenager zu Ponce’s Golden Oldies tanzten und sich betatschten, gingen an Tischen vorbei, an denen Jungs und Mädchen, Männer und Frauen erstaunlicherweise alle Coca-Cola aus Flaschen tranken, und näherten sich dem Barhocker, auf dem Gus Mondalvo saß und an etwas nippte, das wie Limonade aussah.
»Mr. Mondalvo?« fragte Hawes.
Mondalvo nippte weiterhin an seinem Getränk.
»Polizei«, sagte Hawes, klappte das Lederetui auf und zeigte seine Dienstmarke.
Es gibt verschiedene Möglichkeiten, cool zu reagieren, wenn man plötzlich von der Polizei angesprochen wird. Eine besteht darin, völlige Gleichgültigkeit der Tatsache gegenüber vorzutäuschen, daß tatsächlich Cops vor einem stehen und Ärger machen könnten. Zum Beispiel: »Das hab ich schon hundertmal mitgemacht, Mann, und ihr jagt mir keine Angst ein. Was kann ich also für euch tun?« Eine andere ist, Entrüstung vorzuspielen: »Wissen Sie überhaupt, wer ich bin? Wie können Sie es wagen, mich dermaßen in Verlegenheit zu bringen und hier in aller Öffentlichkeit anzusprechen?« Die dritte besteht darin, völlige Unwissenheit an den Tag zu legen: »Polizei? Sind Sie wirklich von der Polizei? Du grüne Neune, was kann die Polizei denn von wir wollen?«
Mondalvo drehte sich langsam auf seinem Stuhl um.
»Hallo«, sagte er und lächelte.
Sie hatten schon alles gesehen und gehört.
Diesmal war es eine angenehme Abwechslung.
»Mr. Mondalvo«, sagte Hawes, »wir wissen, daß Sie am Freitag am Motor eines Cadillacs gearbeitet haben, der einem gewissen Mr. Rodney Pratt gehört. Erinnern Sie sich zufällig daran?«
»Ja, klar«, sagte Mondalvo. »Hören Sie, sollen wir uns nicht lieber an einem Tisch unterhalten? Wollen Sie was zu trinken haben? Eine Coke? Ein Ginger Ale?«
Er glitt vom Hocker und enthüllte seine volle Größe von einem Meter und fünfundsechzig oder siebzig. Er war keineswegs so groß, wie er sitzend gewirkt hatte, ein kleiner Mann mit breiten Schultern und einer schmalen Taille, mit einem Igel und einem Schnurrbart. Carella fragte sich, ob er den Gewichtheber-Körperbau im Knast erworben hatte, und dann
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