Long Dark Night
sie den alten Löwenherz unbesehen den Löwen zum Fraß vorwerfen.
Nach einer halben Stunde hatten sie die Tasche noch immer nicht gefunden.
»Wo würdet ihr euch verstecken, wenn ihr eine rote Kunstledertasche wäret?« fragte Richard der Erste.
»Ja, wo?« fragte Richard der Zweite.
Richard der Dritte stand in der Mitte des Zimmers, kratzte sich am Arsch und dachte nach. »Rekonstruieren wir das mal Minute für Minute«, schlug er vor. »Von dem Augenblick an, als wir sie auf der Straße trafen, bis dahin, als wir sie hier raustrugen.«
»Na klar, machen wir«, sagte Richard der Zweite sarkastisch. »Zwei tote Neger im Badezimmer, und vielleicht schauen demnächst noch ein paar Freunde von ihnen vorbei … Aber wir haben ja alle Zeit der Welt.«
Richard der Erste hatte schon lange nicht mehr gehört, daß jemand das Wort »Neger« benutzte.
»Als sie aus dem Taxi stieg, hatte sie die Tasche ganz bestimmt in der Hand«, sagte er.
»Sie hatte sie auch hier in der Wohnung«, sagte Richard der Dritte. »Sie hat die Travellerschecks und die Jumbos reingesteckt. Das habe ich genau gesehen.«
»Na schön, wo hat sie sie also hingelegt, als wir mit ihr Liebe machten?«
Die elegante Umschreibung Richards des Zweiten überraschte die beiden anderen. Er sah ihre verblüfften Blicke und zuckte mit den Achseln.
»Erinnert sich jemand?«
Niemand wußte es.
Also duchsuchten sie die Wohnung noch einmal.
Meyer und Kling kannten sich damit aus, Wohnungen zu durchsuchen. Sie wußten, wo die Leute Geld und Schmuck versteckten. Viele alte Leute vertrauten den Banken nicht. Angenommen, man rutschte in der Badewanne aus und brach sich was und wurde erst gefunden, wenn man nur noch aus Haut und Knochen bestand … wie sollte man dann noch zur Bank gehen und sein Geld abheben? Man kam nicht mehr zur Bank, so einfach war das. Und wenn man alt war und sein Geld sparte, um es den Enkelkindern zu vererben, war man nicht allzu versessen auf ein Bankkonto, denn bei einem Bankkonto gab es immer Unterlagen, also würde Uncle Sam kommen, die Hand aufhalten und den Großteil des sauer Gesparten als Erbschaftssteuer kassieren. Deshalb bewahrten viele alte Leute ihr Geld oder ihren Schmuck in den unterschiedlichsten Verstecken auf.
Eiswürfeltabletts waren sehr beliebt. Viele Menschen gingen davon aus, daß kein Dieb auch nur im Traum daran denken würde, in einem Gefrierfach nach Juwelen zu suchen. Aber irgendein schäbiger Krimiautor hatte vor einiger Zeit ein Buch geschrieben, in dem ein schäbiger Dieb seine Beute in Eiswürfeln versteckte, und nun wußte alle Welt davon, andere schäbige Diebe eingeschlossen. Meyer und Kling waren keine Diebe, weder schäbige noch sonst welche, aber sie kannten den Trick mit den Eiswürfeln. Es war geradezu lächerlich, Schmuck im Gefrierfach zu verstecken, die meisten Einbrecher sahen dort zuerst nach. Die Kühlschranktür aufmachen, ein Blick ins Gefrierfach, ach, da seid ihr ja, ihr Süßen!
Ein weiteres beliebtes Versteck war die unterste Stange einer Jalousie. Man zog die Verschlußkappen an den Enden ab und schob Armbanduhren oder zusammengerollte Geldscheine in die hohle Stange. Das funktionierte ausgezeichnet, abgesehen davon, daß jeder Dieb davon wußte. Sie kannten auch noch ein paar andere beliebte Verstecke für Geld oder Schmuck: die Staubsaugertüte, den Toilettenkasten oder die Deckenlampe, aus der man die Glühbirnen entfernt hatte, so daß man nicht den Umriß einer Halskette durch das Glas sehen konnte, wenn jemand die Lampe einschaltete.
Meyer und Kling durchsuchten all diese beliebten Verstecken.
Und fanden nichts.
Also sahen sie unter der Matratze nach. Auch dort fanden sie nichts.
Der Umschlag sah aus, als hätte er den Krimkrieg miterlebt. Vielleicht hätten Georgie und Tony ihn nicht öffnen sollen, aber andererseits hatte Priscilla ihnen den Schlüssel des Schließfachs 136 im Busbahnhof Rendell Road anvertraut, und wenn sie nicht gewollt hätte, daß sie sich ansahen, was auch immer sie in dem Schließfach fanden, hätte sie es ihnen ausdrücklich sagen sollen. Außerdem war der Umschlag nicht zugeklebt. Es handelte sich um eine einfache gelbe Jiffytasche, auf der der Name Priscilla stand, ein dicker Umschlag, dessen Lasche von einem Gummiband festgehalten wurde.
In dem Umschlag war Geld.
Hundert-Dollar-Scheine.
Genau tausend davon.
Georgie und Tony konnten das so präzise sagen, weil sie den Umschlag auf die Herrentoilette mitgenommen hatten, um das Geld zu
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