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Long Reach

Long Reach

Titel: Long Reach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Cocks
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betreten, weil er mich in Verlegenheit gebracht hatte.
    »Wie auch immer, mach’s dir jetzt noch nicht allzu gemütlich. Wirf dein Zeug ab und pack deine Reisetasche.«
    Er half mir, mein Gepäck ins Schlafzimmer zu tragen, gleich neben dem Wohnzimmer. Das Bett war riesig und weiß, mehr als doppelt so groß wie meine Koje zu Hause. Es sah aus wie ein cooles Hotelzimmer, mit in die Wand geschraubten Leselämpchen an beiden Seiten des Betts und einem Bild in der Mitte darüber. Es war was Abstraktes, das Plakat zu einer Ausstellung der Tate Gallery vor ein paar Jahren. Durch eine Schiebetür gelangte man auf einen Balkon, von dem man direkt auf den Fluss blickte. Ich zog sie auf und trat nach draußen. Die Mittagssonne spiegelte sich in der futuristischen Landschaft gegenüber und flussaufwärts konnte ich den gurkenförmigen Wolkenkratzer in der City und die Kuppel von St. Paul’s ausmachen. Unter mir zog der Fluss vorbei, langsam und undurchsichtig, und strudelte und wirbelte sich um die glitschigen, grün bewachsenen Anlegestellen. Obwohl mir die Wohnung noch so fremd war, machte sich in mir ein wohliges Gefühl breit,und ich hätte nichts lieber getan, als mich rücklings auf die große weiße Matratze fallen zu lassen, den Breitbildfernseher am Fuß des Betts einzuschalten und den Rest des Tages einfach nur abzuhängen.
    Tony hatte andere Pläne. Er sah auf die Uhr und machte Geräusche, die auf Aufbruch hindeuteten, und so stopfte ich ein paar Sachen in meine Reisetasche, während er das Notebook verstaute. Fünf Minuten später fiel die Tür zu meiner neuen Wohnung hinter uns ins Schloss.

Sieben
    Wir nahmen den kürzesten Weg durch Greenwich, vorbei an Park und Marinemuseum, und dann durch den Blackwall-Tunnel. Die Industrielandschaft nördlich des Flusses war mir reichlich fremd. Ich hatte noch nie einen Grund gehabt, dort hinzufahren. Schließlich bog Tony nach links ab und wir fanden uns in einer runtergekommenen Wohngegend wieder. Die Straßen waren gesäumt von indischen Lebensmittelläden, Kebabbuden und Imbissen mit Mittelmeerspezialitäten.
    »Wo sind wir hier, Tony?«, fragte ich. Ich musterte die bunte Mischung von Leuten, die sich auf den Straßen herumtrieben.
    »Dalston«, antwortete er.
    Obwohl ich kaum mehr als ein paar Meilen von hier aufgewachsen war, hörte ich zum ersten Mal von Dalston. Es fühlte sich ganz anders an als südlich des Flusses. Keine Ahnung, warum. Vielleicht einfach nicht meine Gegend.
    »Saufiese Gegend hier«, sagte Tony. »Ganz anders als die grünen Alleen und Prachtstraßen von New Cross und Peckham«, fügte er grinsend hinzu.
    Weiter ging es durch Hackney und Islington und dann die Holloway Road hoch, bis die Nordumfahrung angezeigt wurde.
    »Also, wo ist das, wo wir jetzt hinfahren?«
    »Draußen, Richtung Beaconsfield«, gab Tony zurück. »Aber je weniger du weißt, desto besser. Hätte dir die Augen verbinden sollen.«
    Tony schien heute richtig zu schwelgen in seinen lahmen Witzen. Vermutlich wollte er nur meine Nervosität etwas herunterspielen. Den Rest der Fahrt verbrachten wir schweigend.
    Das Gebäude sah aus wie eine Schule. Es stand am Ende einer langen Auffahrt, moderne Häuserblocks lagen darum verstreut. Wir wurden vom Sicherheitsdienst überprüft und dann zum Hauptgebäude durchgewinkt, wo Tony auf einem Mitarbeiterparkplatz hielt. An einem Empfangsschalter mussten wir uns eintragen und eine uniformierte Mitarbeiterin übergab mir einen in Plastik eingeschweißten Besucherausweis.
    Es fühlte sich kein bisschen aufregend oder glamourös an, sondern eher, als würde man sich arbeitslos melden oder für eine Tetanusimpfung anstehen. Die Wände waren zugepflastert mit Postern von irgendwelchen Behörden oder Warnhinweisen zu Gesundheitsrisiken. Meine Schuhe quietschten auf dem blanken Linoleum des Korridors. Niemand schien uns wahrzunehmen oder Tony zu erkennen, als wir das Haupthaus verließen, einen Hof überquerten und eines der modernen Gebäude betraten. Hinter einem Schreibtisch, umgeben von Computern, Aktenstapeln und Papieren, saß Ian Baylis. Er wirkte nicht sonderlich erfreut, mich zu sehen.
    »Alles klar, Ian?«, fragte Tony heiter. Baylis verzog die Lippen zu seinem schmalen Lächeln und schaute mich an.
    »Sollten schnell loslegen«, sagte er. »Wir haben nicht allzu viel Zeit.«
    »Dann übergebe ich dich mal Ians fähigen Händen«, erklärte Tony, und auf einmal überkam mich der Drang, mich an ihm festzukrallen, wie ein Kind am ersten

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