Long Reach
wie biegsam sie doch gewesen sei, damals bei ihrem Selbstverteidigungskurs. Gleich würde er sich noch hinlegen und ein paar Liegestütze machen, um sie zu beeindrucken. Campbell, der Techniktroll, wählte einen anderen Zugang und machte blöde Witze auf dem Niveau seines Secret-Squirrel-Songs. Wahrscheinlich dachte er, die Schlacht sei schon so gut wie gewonnen, wenn er dem Mädchen ein Lachen entlockt hatte. Doch meistens lachte nur er und grunzte auch noch dabei.
An Coolness kaum zu überbieten.
Nur Sandy Napier hielt sich zurück. Er tat, als sei ein Gespräch mit Mädchen unter seiner Würde. Vielleicht waren sie auch einfach nicht sein Ding. Wenn man sich Annas Alternativen so ansah, war ich vielleicht gar nicht die schlechteste Wahl. Ich glaube, der Wein stieg mir zu Kopf. Gerade als ich mir meine Chancen ausrechnen wollte, schlug Sandy Napier mit seinem Stift an sein Glas und bat um Ruhe.
»Danke, dass alle kommen konnten«, verkündete er. »Ich werde keine großen Worte machen. Nicht meine Art, wie ihr alle wisst. Ich möchte nur unseren Neuzugang begrüßen, Eddie Savage. Eddie ist der jüngste Agent, den wir jemals aufgenommen haben. Tatsächlich musste ich das Regelbuch auf den Kopf stellen, um es möglich zu machen. Durchaus ein Wagnis und deshalb freue ich mich über die kleinen Anzeichen, dass sich das Risiko womöglich ausgezahlt hat.«
Aus den Augenwinkeln sah ich zu Ian Baylis, der stur geradeaus blickte. Anna lächelte mir zu und zwinkerte. Napier fuhr fort.
»Im Hinblick auf die Vorschriften unserer Organisation möchte ich euch alle daran erinnern, dass Eddie noch eine ganze Weile lang nicht volljährig sein wird und deshalb in vielerlei Hinsicht nicht wirklich existiert. In diesem Sinne hoffe ich, dass ihr Eddie in puncto Unterstützung und Schutz gebt, was ihr könnt. Das wäre alles. Sicher werdet ihr alle einstimmen, wenn ich Eddie jetzt alles Gute wünsche.«
Er erhob sein Glas.
»Auf Eddie Savage.«
Ganz schön heftig, dachte ich. Ich darf den Kopf hinhalten und dabei gibt es mich noch nicht mal, genauso wenig wie Steve.
»Auf Eddie Savage«, riefen sie im Chor.
Elf
Nachdem sich Sandy Napier zurück nach London aufgemacht hatte, trommelte Ian Baylis die Truppe zusammen, um in den Pub zu gehen. Wir stapelten uns in zwei der Dienstjaguars und legten die Landstraßenmeile bis zum nächsten Dorf in einem Affenzahn zurück. Baylis und Jim saßen am Steuer und keiner wirkte allzu besorgt über die Menge, die sie schon getankt hatten. Wahrscheinlich hatten sie eine »Sie kommen aus dem Gefängnis frei«-Karte.
Ich saß hinten und hatte es so gedeichselt, dass ich neben Anna saß. Mir war schon vom Wein heiß genug, und wie sich hier auf dem Rücksitz ihr Körper gegen meinen drückte, raubte mir den Atem. Ich musste das Fenster einen Spalt öffnen.
Im Pub holten sie eine Runde nach der anderen, und obwohl ich tempomäßig nicht mithalten konnte, hatte ich schließlich vier große Bier getrunken. In Kombination mit dem Wein machte mich das ziemlich besoffen. Es wurde viel gelacht und gestichelt, aber ich hielt mich zurück. Ich wollte mich nicht zum Deppen machen, vor allem nicht vor Anna.
»Du bist so still«, sagte sie und nahm einen Schluck von ihrem Bier. Sie trank wie ein Kerl und man merkte es ihr kein bisschen an.
»War eine anstrengende Woche«, antwortete ich.
Sie lächelte und tätschelte mir das Bein. Mir fiel auf, dass ihre weißen Zähne ein bisschen ungleichmäßig waren, was ihren Lippen beim Lächeln eine erotische Kurve verlieh.
Dann hieß es: auf zum Curryessen, in einem dieser windigen India-Imbisse, von denen es in jedem englischen Kaff einen gibt. Noch mehr Bier und Chicken Jalfrezi. Viel weiß ich nicht mehr davon, nur dass es wahrscheinlich das mieseste Curry meines Lebens war.
Auf der Rückfahrt saß ich wieder neben Anna. Sie war zwischen mich und Baylis gequetscht, und als das Auto in Schlangenlinien über die Landstraßen eierte, wurde sie von der Schwerkraft gegen mich gepresst, so nah, dass ihr Haar über mein Gesicht fegte und ich einen Hauch ihres Parfums riechen konnte, trotz des Gestanks nach Bier und Kippen im Auto. Als der Wagen fast aus der Kurve flog, klammerte sie sich fest und ihre Hand rutschte versehentlich in meinen Schritt.
»Entschuldigung, Eddie«, sagte sie und zog rasch die Hand zurück.
»Keine Ursache.« Ich musste schwer schlucken.
Sie beugte sich vor und brüllte den Pitbull hinterm Lenkrad zusammen. »Jim, kannst du mal
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