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Long Reach

Long Reach

Titel: Long Reach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Cocks
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heimgekommen?«, fragte Tony, um das Gespräch wieder auf mich zu lenken.
    »Ja, halb nackt und von Kopf bis Fuß zugeschissen, aber lebendig.«
    »Gut, und dann hast du dich wieder sauber gekriegt und ein bisschen ausgeruht?« Aus den Augenwinkeln warf er mir einen Blick zu.
    »Klar, nachdem ich geduscht hatte und ins Bett bin, ging’s mir besser«, sagte ich und spürte, wie ich rot wurde.
    »Fein.« Tony setzte den Blinker, um eine ältere Frau zu überholen.
    Ich lehnte meinen Kopf gegen die Kopfstütze, schloss die Augen und lächelte bei der Erinnerung an eine schnellere, jüngere Frau.
     
    Um die Mittagszeit waren wir zurück in Deptford. Tony wollte noch ein bisschen weiter bis nach Greenwich und so fuhren wir den Hügel hinauf und parkten vor einem netten alten Pub inmitten einer Reihe klassizistischer Häuser. Zumindest sagte Tony mir, dass sie klassizistisch seien. Aufsolche Details sollte ich achten, meinte er. Könne mal nützlich werden.
    Ich war immer noch etwas wackelig auf den Beinen von der letzten Nacht, aber ich hatte im Auto ein Schläfchen gehalten, und als Tony mir schließlich ein Bier und ein Salamibaguette reingezwungen hatte, war ich wieder voll auf dem Damm.
    »Also, fühlst du dich noch wohl mit deiner Entscheidung, den Job zu übernehmen?« Tony wischte sich Ketchup und Senf aus dem Mundwinkel. Ich schirmte meine Augen vor der Sonne ab, die auf den Biergarten runterknallte. Wegen seiner verspiegelten Sonnenbrille war Tonys Miene schwer zu deuten.
    »Ja, denk schon.«
    »Klingt nicht allzu begeistert.«
    Ich hielt einen Moment inne und wählte meine Worte sorgfältig. »Die Woche war ziemlich heftig«, sagte ich. »Bei ein, zwei Sachen musste ich erst mal völlig umdenken.«
    Tony nickte.
    »Ich hab gelernt, niemandem zu trauen«, sagte ich und hielt wieder inne. »Und nichts und niemanden für den zu halten, der er zu sein scheint   … noch nicht mal meinen eigenen Bruder«, fügte ich hinzu.
    »Stimmt«, sagte Tony. »So läuft das hier. Also?«
    »Also, die Welt ist für mich gerade irgendwie ziemlich finster geworden.«
    Einen Moment lang starrte Tony in sein Bier, als wäre es eine Kristallkugel. »So viel finsterer als zuvor?«, fragte er. »Vater ein obdachloser Alkoholiker, keine Kohle, Bruder tot?«
    Ich blickte in den blauen Himmel hinauf. Irgendwas in mir hatte schon immer selbst am strahlendsten Himmel etwas Dunkles gefunden. »Nein, so viel finsterer wahrscheinlich auch nicht.«
    »Also, hast du ernste Bedenken?« Über seinen Brillenrand blickte Tony mich an.
    »Ist ein bisschen spät, jetzt noch auszusteigen«, bemerkte ich. »Jetzt, wo ich weiß, worum es geht.«
    »Aber noch nicht
zu
spät«, sagte Tony. »Trotzdem gebe ich dir recht, dass es keinen von uns besonders gut dastehen ließe, wenn wir dich da noch rausholen wollten.«
    »Also, dann bin ich dabei.«
    »Guter Mann.« Tony lächelte. »Dann kann ich dir wohl das hier geben.« Er streckte eine Hand über den Tisch und reichte mir einen US B-Stick .
    »Was ist das?«, fragte ich.
    »Etwas von Steve«, sagte er. »Musst du nicht verwenden, aber es könnte dir ein wenig Einblick geben, na ja, was ›James Boyle‹ so getrieben hat.« Er drückte mir die Schulter, bevor er den Rest seines Guinness leerte. »Eins noch, Kumpel«, sagte er. »Mir kannst du trauen.«
    »Kann ich das?«
    »Ja«, sagte er. Und ich glaubte ihm.
     
    Nach dem Essen ließ mich Tony bei meiner Wohnung raus. Er sagte, ich solle mich das Wochenende über entspannen, das Apartment und die Gegend kennenlernen. Mich mit meinem Computer und dem Telefon vertraut machen, bevor am Montag der Job losging.
    Das neue Schuljahr.
    Ich rief mir die Tür-Codes in Erinnerung und trat ein. Die Wohnung roch immer noch funkelnagelneu. Mein ganzes Zeug war schon da und jemand hatte den Kühlschrank gefüllt. Es warteten eine Glückwunschkarte von Tony und eine Flasche Champagner. Er kümmerte sich wirklich um mich. Auch einige schwarze Notizbücher hatte er mir auf den Tisch gelegt.
Moleskine
stand auf der Bauchbinde; wie es schon Ernest Hemingway, Picasso und Bruce Chatwin verwendeten, wer immer das auch sein sollte. Auf Tonys Zettel stand: »Benutzen und dann an mich zurückgeben. An einem sicheren Ort aufbewahren.« Ich nahm an, dass ich mir diesen sicheren Ort selbst ausdenken sollte   – nicht mal Tony wollte wissen, wo er war.
    Ein paar Minuten lang streifte ich ziellos durch die Wohnung, starrte aus dem riesigen Fenster rüber nach Canary Wharf und

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